Unterhaltungsmusik in Österreich

27. April 2007

Unterhaltungsmusik, in diesem Fall österreichische Unterhaltungsmusik zu beschreiben und zu definieren, muss an zwei Begriffen scheitern: der Unterhaltungsmusik und dem Österreichischen selbst. Beide Begriffe sind auf das erste Ansehen hin präzise und deutlich und umschreiben scheinbar ein ganz klar umrissenes Feld. In Wirklichkeit aber sind sie ungefähr die diffuseste und verschwommenste Bezeichnung, die es innerhalb der Musik gibt.
Definitionen in Lexika, wie „unaufdringliches, keinerlei Aufmerksamkeit absorbierendes, aber atmosphärisch anregendes Musizieren“ sind nichtssagende Worte, die allenfalls einen ästhetischen Zustand umschreiben, aber sonst kaum weiterhelfen. Ebensowenig, wie ein Blick in das Lexikon „Österresichische U-Musik-Komponisten im 20. Jahrhundert“, herausgegeben im Auftrag des ÖKB von Siegfried Lang. Dieses Lexikon ist ein Nachschlagwerk aller Komponistennamen, die sogenannte Unterhaltungsmusik schreiben oder geschrieben haben. Aus anderer Sicht und in anderer Verwendung eine wertvolle Hilfe, bei der Definition des Begriffes „Unterhaltungsmusik“ aber nicht zielführend.
Namen in diesem Lexikon, wie Falco, Andre Heller, Friedrich Gulda, Ludwig Hirsch, Peter Igelhoff, Prof. Udo Jürgens und Gerhard Narholz, besser bekannt unter dem Namen Norman Candler, um nur eine kleine aber dafür sehr typische Auswahl herauszugreifen, tragen zur Begriffsdefinition nichts bei – im Gegenteil, sie verwirren noch weiter.
Was hat Andre Heller als Künstler mit Gerhard Narholz gemeinsam? Und dieser wiederum mit Friedrich Gulda? Welches musikalische Kriterium zwingt die drei genannten Komponisten, dass sie sich gemeinsam unter dem Überbegriff „Unterhaltungsmusik“ lexikal verewigen lassen müssen?
Die beiden Beispiele machen deutlich, dass unter dem Begriff „Unterhaltungsmusik“ heute Musik der verschiedensten Stilarten – von Heavy Metal bis Wiener Musik – zusammengefasst werden.
Andererseits sind in diesem Lexikon Namen von Komponisten nicht verewigt, die sich immer wieder in die Bereiche der sogenannten „U-Musik“ begeben, ansonsten aber streng katalogisiert dem Bereich der
„E-Musik“ angehören. Die Zusammenfassung unter dem Begriff „U-Musik“ ist der Musik in keiner Weise adäquat und verfälscht den Zugang zu ihr. Diese Zusammenfassung zeigt nur die relativ große nomenklatorische Hilflosigkeit, die sich in der Musikhistorie und Musikwissenschaft als deren Programmbestandteil bereits eingeführt hat. Das in der Musikwissenschaft des 19. Jahrhunderts als ein festgefügtes Gebäude der Nomenklatur aufgeführt wurde und das offensichtlichen Bestand hatte, muss an der Musik des 20. Jahrhunderts ganz allgemein scheitern. Die Bezeichnungen der Stücke durch ihre Komponisten ist schon im Bereich der sogenannten „klassischen“ Musik nicht einfach und gibt zu Missdeutungen Anlass; im Bereich der Unterhaltungsmusik ist es schlechthin unmöglich, unter diesem Begriff etwas zu verstehen.
Das ist ein der Musik adäquates Verhalten und ist oft zu beobachten. Der Begriff „Musik“ ist so weit gefasst, dass jeder, der von Musik spricht, vermeint, auch das Richtige zu meinen. Dass Musik sich allerdings genauso voneinander unterscheidet, wie verschiedenste Bereiche der Literatur, wird dabei vernachlässigt. Innerhalb der Literatur würde es keinem einfallen, Thomas Bernhard mit Boulevard-Autoren unter dem gemeinsamen Titel „Literatur“ zusammenzufassen; Musik ist hier leider oft anders.
Der Begriff „U-Musik“ schließt auch reichlich platt und verfälschend die Polarität zum Begriff „E-Musik“ ein. Das ist zwar historisch logisch, aber mit Sicherheit nicht mehr zeitgemäß und irreführend. Ist schon der Begriff „E-Musik“ ein irreführender und mit Sicherheit unscharfer Begriff, da er Bereiche umfasst wie das Menuett, das Divertimento, aber auch die Opera comique, also durchaus heitere Bereiche, die hier mit „ernst“ bezeichnet werden und damit inkludieren, dass sie das allgemeine Publikum auch als „schwer“ bezeichnet – um wieviel mehr muss es dann erst innerhalb der „U-Musik“ zu Verwirrungen kommen, wenn so verschiedene Bereiche wie Karl Moik, das Wienerlied und der Jazz unter dem selben Begriff zusammengefasst werden.
Anstelle des Ausdruckes „E-Musik“ möchte ich im folgenden den mir besser erscheinenden Ausdruck „Kunstmusik“ einsetzen, und zwar in bewusster Polarität zum Ausdruck „U-Musik“. Kunstmusik bedeutet Musik um der Kunst willen, „U-Musik“ bedeutet hier Warenmusik.
Eine weitere Tatsache ist es, dass Komponisten der Kunstmusik immer mit einer gewissen Eifersucht auf Komponisten der sogenannten unterhaltenden Branche schauen, weil alles, was sich „unterhaltend“ nennen darf, besser verkaufbar ist – was sich ja in den Tantiemen der jeweiligen Komponisten unmittelbar niederschlägt – als sogenannte Kunstmusik. Umgekehrt aber ist es wiederum für den U-Musiker immer noch erstrebenswert, in die sozial höhere Klasse der Kunstmusiker aufzusteigen.
Der oft gehörte Satz „Ich unterscheide nicht zwischen E- und U-Musik, sondern nur zwischen guter und schlechter Musik“, trägt zur Definition des Bereiches Unterhaltungsmusik nichts bei. Er unterstreicht nur einen fundamentalen und nahezu bis zum Erbrechen wiederholten Denkfehler. Der Ausdruck „gute und schlechte“ Musik heißt in der Folge, daß es auch nur gutes und schlechtes Obst, nicht aber Äpfel und Birnen gibt.
E-Musik hat ihre Ästhetik, ihre Betrachtungsweise in sich, U-Musik sollte es auch haben, sollte sich allerdings nicht mit den Maßstäben der E-Musik messen. Das führt zweifellos zu einer entgegengesetzten Denkweise, als sie momentan modern ist. Die Annäherung zwischen „E“ und „U“ ist eine organisatorisch leicht durchführbare, eine vom ästethischen Standpunkt her aber aufgesetzte und nicht zielführende. Werke der Kunstmusik können ohne weiteres Elemente aus der Volks- bzw. Unterhaltungsmusik nehmen, das taten sie schon immer. Sie haben diese Elemente allerdings verarbeitet und in oft nicht primär erkennbarer Form in ihrer Weise als Kunstmusik wiedergegeben. Das einfache Zitat hilft hier wohl wenig. Umgekehrt kann es eine Legion von Bearbeitungen sogenannter „klassischer“ Musik geben, denkt man nur an „Play Bach“, denkt man an all die anderen Unterhaltungskomponisten, die sehr bewusst den sozialen Touch der Klassik für sich vereinnahmen wollen, in dem sie solche Klassik mit einem schlichten Schlagzeugcomputer in musikalisch schlechtester Weise unterlegen. Auf diese Weise wird aus der Unterhaltungsmusik auch keine Kunstmusik.
Unterhaltungsmusik äußert sich oft, so hat es den Anschein, mit allem kommerziellen Selbstbewusstsein; kein Wunder bei der Tantiemenverteilung, aber mit totaler intellektueller Unsicherheit. Kein Wunder, bedenkt man, dass die Musikwissenschaft sich grundsätzlich nicht als eine Wissenschaft der Musik, sondern als die Wissenschaft der elitären Kunstmusik vergangener Jahrhunderte versteht. Wenn es auch in letzter Zeit vermehrt wissenschaftliche Versuche der Annäherungen an die Phänomene der Unterhaltungsmusik gibt, so ändert das gar nichts an der Grundeinstellung dieser Wissenschaft, die sich nicht wirklich zu den Phänomenen der Musik des 20. Jahrhunderts äußern möchte. Sie hilft also bei der Definitionsfindung auch nicht.
Klassische Musik kann man heute ohne weiteres als soziale Eintrittskarte in unsere Gesellschaft ansehen. Hat man nur zum Beispiel ein Philharmoniker-Abonnement, so gehört man eben „dazu“. Geht man zu einem Konzert von Pink Floyd, so ist man entweder seitens der klassischen Musiker ein Kultursnob oder man begibt sich in die Niederungen der Massen. Klassische Musik ist in dieser Definition ein Produkt für das Bildungs-Bürgertum, das am Ende des 20. Jahrhunderts Bildungsrituale des 19. Jahrhunderts immer noch nicht überwunden hat – mehr noch – sie scheinbar als kulturelle Vision ins 21. Jahrhundert transferieren möchte. Genau diese Zielgruppe bemerkt aber nicht, dass die Medien – und das ist hier die Gesamtheit der Medien, die gemeint sind und nicht der Rundfunk allein – auch die Kunstmusik bereits mehr und mehr zu einer die Ohren verkleisternden Geräuschkulisse machen. Allein die Hits der Klassik zu spielen, kann kaum eine kulturpolitische Tat mit Zukunftsvisionen sein, wird aber als solche stolz gehandelt. Und zwar von genau jenem Publikum, das Musik, die aus konventionellen Bahnen herausfällt, die neue Wege sucht, die Neues aufzeigt und die neue Klangeindrücke vermittelt, striktest ablehnt. In Konzerte mit neuer Musik gehen noch eher Jugendliche, die normalerweise dem Unterhaltungsmusik-Lager zuzurechnen sind. Zeitgenössische Musik also findet generell unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Jene, die solche Konzerte anhören, gehören entweder der kulturellen Minderheit der Liebhaber zeitgenössischer Musik an, oder besuchen solche Konzerte aus kulturellem Snobismus. Die Öffentlichkeit bekommt diese Art von Musik letztlich genauso nur duch die Medien, wie den Medien vorgeworfen wird, daß sie alle U-Musik über die Maßen fördern.
Es ist festzuhalten, dass der Österreichische Rundfunk in Österreich noch immer die einzige Institution ist, die zeitgenössische Kunstmusik zu vermitteln versucht. Zu wenig selbstverständlich für den Insider, zu viel aber für das sogenannte Klassikpublikum. Wenn also klassische Musik genau den gleichen Weg der Funktionalität geht, wie er für die U-Musik gilt, so verdient das skizzierte Publikum es nicht anders, als dass es sich über Udo Jürgens und Karl Moik als die Totengräber abendländischer Kultur aufregen muss. So besehen hat der Ausspruch Andy Warhol`s, „Der wahre Wert der Kunst ist ihr Warenwert“, in diesem Bereich seine Realität gefunden.
In diesem Zusammenhang: der beliebte Volkssport der Medienbeschimpfung als die wahren Bösen in Sachen Kultur, kann nicht zielführend sein. Zum Einen ist es die immer wiederkehrende Frage, wer war zuerst: der Geschmack des Publikums oder die Medien, die diesen verbreiten. Andererseits steht es selbstverständlich außer Zweifel, dass die Multiplikatoren jeglicher Musik die Medien sind. Unterhaltungsmusik, aber auch die klassische Musik, unterliegt den Marketingbestrebungen großer Plattenkonzerne in erster Linie, die Rundfunkstationen in Räumen, wo sie freie Sender betreiben können, bereits selbst betreiben, oder aber öffentlich-rechtliche Anstalten sehr geschickt vor ihren Karren spannen.
Der Begriff des „Österreichischen“ in der Musik entzieht sich in gleicher Weise einer genauen Definition. Gibt es überhaupt so etwas wie das Österreichische in der Musik?
In der „Österreichischen Musikgeschichte“ von Flotzinger und Gruber haben die beiden Autoren in dem diesbezüglichen Artikel eine ganze Reihe von denkbaren Faktoren des Österreichischen angeführt. Es sind Fakten der Musikgeschichte und der Geschichte Österreichs, die allerdings in der Musik kaum nachweisbar sind. Ein ähnliches Problem, wie es schon der Nachweis des Österreichischen in den Noten Mozarts ist. Gelehrte Traktate helfen hier kaum darüber hinweg.
Andererseits lässt sich das Österreichische vielleicht dadurch definieren, dass man historisch vorgeht. Das heutige Österreisch ist hier grafisch gesehen zweifellos der kleinste gemeinsame Nenner eines ehemaligen europäischen Riesenreiches. Die Identität dieses kleinen Österreich ist 45 Jahre alt bzw. jung und vielleicht als wirklich definierbare Eigenheit noch nicht wirklich ausformulierbar. Bleibt also zu postulieren, dass Österreich immer – und hier vor allem Wien – ein Sammelbecken aller Völkerschaften, aller kulturellen Äußerungen jenes Reiches war, dessen Hauptstadt es noch vor 80 Jahren war. Nun, das Sammelbecken Wien und Österreich als eine österreichische Eigenschaft, also die im besten Sinne „Amalgamierung“ der verschiedensten Stile, der verschiedensten kulturellen Äußerungen, so lässt sich daraus unter Umständen das Österreichische ableiten. Wiewohl: Über das „Österreichische“ des sogenannten Wienerliedes können die restlichen Bundesländer Österreichs nur schwer lachen. Die diesen Wienerliedern innewohnende Morbidität, das Granteln, das Jammern, das Schwarzsehen als Lebensphilosophie, als typisch österreichisches Element der Unterhaltungsmusik zu definieren, würde wahrscheinlich den intensiven Protest eines Volksmusikers aus dem Zillertal auslösen. Dieser definiert das Österreichische eher aus seinen Texten seiner Lieder her, nämlich bei Sonne und Sonnenscheiin fröhlich auf der Alm den Mädeln nachzustellen – und das ganze im flotten Polkatakt. Also auch die volkstümliche Musik wurde immer mehr zu einer Jinglemusik der Fremdenverkehrsindustrie. Ich möchte an dieser Stelle betonen, um nicht den Fachleuten der Volksmusik in die Quere zu kommen, dass Volksmusik und volkstümliche Musik von einem breiten Publikum ohnehin nur schwer unterschieden wird und es für mich auch die Frage ist, in wieweit volkstümliche Musik nicht eine Form der modernen, neu entstehenden Volksmusik ist. Aber wie gesagt, kein Definitionsstreit an dieser Stelle.
Es gilt also die Definition, dass alle Musik, die in Österreich geschrieben wird, ihre Wurzeln wohl oder übel – als Platitüde sei es angemerkt – in Österreich hat. In Bereichen der U-Musik lässt sich eine weitere Definition des Österreichischen wohl kaum durchführen. Falco`s Nr. 1-Hit „Rock me Amadeus“, der in die internationalen Hitparaden kommen konnte und der in Amerika einen nachgerade sensationellen und für Falco sicherlich beruhigenden finanziellen Erfolg erringen konnte, hat als österreichisches Attribut maximal den Namen Amadeus als Assoziation zu Mozart, sonst entspricht dieser Song genau einer internationalen nivellierten Rocksprache, die außerdem von Marketingbestimmungen geleitet wird. Österreich ist als Schallplattenmarkt sicherlich ein kleiner Markt und von Deutschland aus eher nebenbei zu bearbeiten. Die Umsatzzahlen in Österreich entspreschen genau diesem Erscheinungsbild. Der sogenannte „Break-even-Point“, jener Punkt also, an dem eine Schallplatte von den Produktionskosten in eine Gewinnzone vorstößt, ist in Österreich zweifellos wesentlich schwerer erreichbar, mit deutschen Produkten allerdings – bei einem wesentlich größeren Markt – leichter. Lässt man hier die volkstümliche Musik, die eine eher internationalere Färbung oder zumindestens zentraleuropäischere Färbung hat, aus, so gilt dieser Bereich in erster Linie für die Unterhaltungsmusik aller Popmusik. Ein Begriff, der auch in sich sehr vieldeutig ist. Die Popmusik im Sinne der populären Unterhaltungsmusik, die von den Öffentlich-rechtlichen Sendern, aber sicherlich auch von Privatsendern gespielt wird, ist also eine Musik, die sich internationalen Marktkonventionen anschließt. Nimmt man Thomas Forstners letztes Auftreten beim Eurovisons-Contest, bei dem er immerhin den für Österreich offensichtlich so erstrebenswerten und erfolgreichen 5. Platz ersingen konnte, so muss; man feststellen, dass das Lied vom deutschen Komponisten gespielt (?) wurde, von einem deutschen Manager weitervermarktet wurde, der allerdings in Wien – das sei immerhin zugestanden – einen örtlichen Vertreter für die Belange des jungen Sängers hat. Dieser Thomas Forstner wird nun ganz gemäß den Marketing-Strategien dieser Branche herumgeschickt und überall trällert er das selbe Liedchen, andere werden zweifellos in diesem Stile folgen. Das war also in diesem Jahr 1989 der Beitrag zur Eurovision auf Seiten Österreichs: ein österreichischer Sänger. Das war`s dann. Versuche, in den vergangenen Jahren, hier wirklich Eigenes zu bringen, waren von unterschiedlichem Erfolg begleitet, sieht man mal vom mittlerweile mit dem österreichischen Adelstitel „Professor“ versehenen Udo Jürgens ab, der den Eurovisions-Song-Contest immerhin auch gewinnen konnte. Er ist so gesehen eine Ausnahmeerscheinung und von seinen Zeiten an ging`s sozusagen „bergab“. Der Versuch, mit dem Komponisten Andre Heller beim Eurovisions-Song-Contest in Israel eine wirklich eigenständige kritische Unterhaltungsmusik resp. einen Song zu bringen, wurde mit dem letzten Platz belohnt. Die Musik Andre Hellers muss deshalb nicht schlecht gewesen sein – im Gegenteil: Es liegt nahe zu formulieren, dass, weil sie am letzten Platz gelandet ist, sie von der Qualität her eher höher zu bewerten ist als jene Lieder, die im Einheitsbrei so wie im Jahr 1989 dahinträllern. Nimmt man auf der anderen Seite aber die Äußerungen der wirklichen Rockmusik, also jener Stile wie New Wave and Heavy Metal, um zwei Exponenten herauszugreifen, so ist auch hier die Frage: Was ist österreichisch an dieser Musik? Alle Gruppen, die sich bei uns bilden, orientieren sich notgedrungen, was sonst sollen sie tun, an den Vorbildern in England. Dass diese Art von Musik dort einen ganz bestimmten sozialen Hintergrund hatte, der hier auch von den Jugendlichen nur teilweise nachempfunden werden kann, aber musikalisch nachempfunden wird, ist auch eine Tatsache.
Heavy Metal, New Wave und sonstige Stilarten, die unter dem Gesamtbegriff „Unterhaltungsmusik“ laufen, sind ganz gemäß ihrer Entstehungsgeschichte nur eine Minderheitenmusik, die gemäß der Musikstatistik nur von wenigen gehört wird. Der Grund scheint einfach: die sozialen Bezüge zu dieser Musik fehlen den österreichischen Jugendlichen, sondern hier ist ein gewisser Nachahmungseffekt vorhanden, dass man eben solche Musik auch hört.
Was ist am Jazz Österreichisch?
Die ORF-Big-Band, die aus dem Johannes Fehring-Unterhaltungsorchester hervorging, Fatty George oder Dr. Erich Kleinschuster, der mittlerweile Jazz an der Grazer Musikhochschule lehrt? Selbstverständlich versuchen die österreichischen Jazzmusiker, die in Graz schon seit Jahren eine wissenschaftliche Bleibe an der Hochschule haben, einen eigenen Stil zu entwickeln. Doch Jazzmusik – und das bestätigt auch einer der Großen der österreichischen Jazzszene, nämlich Adelhard Roidinger – kann nur dialogisch wirklich zu einer neueren Richtung führen. Dialogisch heißt aber nicht, im Kleinschrebergarten seines Landes oder seines unmittelbaren Umkreises sitzenzubleiben, dialogisch meint die Kommunikation mit anderen Musikern der Jazzwelt. Das aber wiederum bedingt eine Internationalisierung, die sich als „österreichisch“ wohl kaum definieren lässt. Nimmt man die Musikpräferenzenliste, die eine europäische deutschsprachige Gültigkeit besitzt – siehe weiter unten – so erkennt man, dass das Beliebteste seitens des Publikums offensichtlich der deutsche und österreichische Schlager sei. Was der deutsche Schlager ist, beweisen Leute wie Howard Carpendale, G.G. Anderson, Roy Black auf das allerdeutlichste. Was allerdings der österreichische Schlager ist, bleibt im Dunkel der Definition. Wohl nicht gemeint sein kann damit der sogenannte „Austropop“, der in Wien in erster Linie seinen Ausgang nahm und der mit Namen wie Wolfgang Ambros, Georg Danzer auf das engste verknüpft ist. Eine zweifellos wirklich spezifische Art, in der das Österreichische am ehesten nicht musikalisch, sondern textlich definiert werden kann. Die Mundart ist es, im speziellen Fall die Wiener, die hier das Österreichische ausmacht, was andererseits zur Folge hat, daß sie am deutschen Markt schwerer verkaufbar ist.
Was also ist der österreichische Schlager?
Bei Umfragen unter dem Publikum, um dessen Musikgeschmack zu ergründen, wird es wohl immer schwierig sein, die Abgrenzung zwischen „Deutsch“ und „Österreichisch“ durchzuziehen. Alle Bereiche der Unterhaltungsmusik lassen sich am ehesten aus ihrer Soziologie her definieren, weniger aus den musikwissenschaftlich gebräuchlichen ästhetischen und satztechnischen Kriterien. Man kann formulieren, dass jede Gesellschaft die ihr eigene Musik entwickelt und hört. Eine Übertragung von einer Gesellschaftsform in die andere und deren Musik von einer Musik auf die andere scheint sinnlos zu sein, woraus folgt, dass klassische Musik letztlich nicht popularisierbar ist, wenn auch Beispiele von Bearbeitungen scheinbar das Gegenteil aussagen. Ausnahmen, wie etwa der „Bolero“ von Maurice Ravel, dessen Plattenaufnahme nach der Ausstrahlung eines Films mit Bo Derek um das etwa Vierfache des österreichischen Durchschnitts angestiegen ist, bestätigen diese Regel. Dass der Film mit Bo Derek hier Maurice RAvel und seinem Werk so helfen konnte, liegt in einem ausgesprochen außermusikalischen Bereich, der sich musikalisch in keiner Weise definieren lässt. Wenn also klassissche Musik für eine elitäre Schicht produziert wird und immer wurde, so wird Unterhaltungsmusik für ein Publikum produziert – und das nach den strengen Kriterien von Marketing und einer Riesenindustrie. Rundfunkanstalten nur zum Beispiel versuchen gemäß ihrem Auftrag und ihrer Zielsetzung, möglichst viele Zuhörer für ihr Programm zu gewinnen. Dazu müssen sie immer wieder den musikalischen Geschmack ihrer amorphen Masse Publikum ergründen. Das Ergebnis ist im deutschsprachigen Raum, wie schon angedeutet, immer das Gleiche. (folgt: Musik-Präferenzenliste)
Aus dieser Liste kann man die Programmiermöglichkeiten der Rundfunkanstalten in deutlicher Weise ablesen. Die Voraussetzung: Ich will ein Massenpublikum erreichen. Hier von einer Verwässerung des Bildungsauftrages zu sprechen – und das geschieht sehr leicht und sehr schnell – heißt an den Zeichen der Zeit vorbeizuschauen. Vor 40 – 50 Jahren, als das Medium Rundfunk – selbstverständlich neben den Printmedien – das einzige war, konnte ein Bildungsauftrag ernstgenommen werden. Ein Hörer damals hatte die Möglichkeit, zuzuhören oder abzuschalten. In einer Zeit allerdings, in der die Welt zum Mediendorf geworden ist, in der es Hunderte von Rundfunkanstalten oft auf kleinstem Raum gibt, in der es neue Medien wie Video, Kassette, Schallplatte, CD und das Fernsehen gibt, kann ein Bildungsauftrag wohl nur mehr als ein Angebot verstanden werden. Der ORF bietet das Programm Österreich 1 an, wahrgenommen wird es von einer vergleichsweise relativ kleinen Menge von Österreichern. Die Massenprogramme bzw. die Masse des Publikums bedient sich Österreich-Regional und Österreich 3.
Österreichische Unterhaltungsmusik, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, versteht sich also auch als ein Teil einer weltumspannenden Musikindustrie. Sie ist ein Wirtschaftszweig, der nur zum Beispiel in Amerika ein größeres Bruttosozialprodukt hat als das der dortigen Autoindustrie. Eine Industrie also, in der es um Börsenkurse geht und nicht um Kunst. Playlists in Amerika sind Börsenkursen unmittelbar vergleichbar. Nach dem, ob ein Musiktitel aufsteigende oder fallende Tendenz hat, wird gekauft oder nicht. Die durchaus übliche und weithin hinausposaunte Verleihung von Platin- und Goldschallplatten hat wirklich nichts mit Kunst oder ähnlichen Begriffen zu tun, sondern drückt ausschließlich die Börsenfähigkeit ihres Interpreten aus. Das gilt für Interpreten wie Rainhard Fendrich, Wolfgang Ambros, Udo Jürgens, Peter Alexander und andere, das gilt aber auch für Interpreten der volkstümlichen Musik. Die so besehen „börsenfähigsten“ Musiker im Bereich der volkstümlichen Musik der letzten Jahre waren zweifellos die „Kasermandln“. Ein kleines Indiz bei diesen beiden gnadenlos volkstümlichen Musikern ist es auch, dass sie die erste CD mit volkstümlicher Musik am Beginn dieses neuen Mediums herausbrachten. Karl Moik ist ein anderes Beispiel dafür. Er gilt mittlerweile als der Inbegriff der volkstümlichen Musik – er wird mit ihr gleichgesetzt. Er ist damit zum vielbejubelten Star dieser Szene aufgestiegen und hat sich auf der anderen Seite eingehandelt, dass man ihn ebenso uneingeschränkt, wie man ihn verehrt, kritisiert. Er gilt als der Inbegriff des schlechten musikalischen Geschmacks für die einen, er gilt als der Inbegriff der Musik für die anderen. Das Fernsehen kann sich nur freuen über ihn, denn seine Einschaltziffern sprechen eine eigene, für den Österreicher durchaus volkstümliche Sprache: der „Musikantenstadel“ wird im Schnitt von etwa 2,8 Millionen Österreichern gesehen und wohl auch gehört. Eine Opernübertragung am Sonntag, von eben demselben ORF regelmäßig als Angebot gebracht, hat vielleicht 200.000 Zuseher. Und das nur unter der Bedingung, dass Strawinsky ganz eindeutig als „Neutöner“ eingestuft wird. Es ist mir wesentlich hier festzuhalten, dass sich der Wert von Opern nicht in statistischen Zahlen der Media-Analyse bemessen lässt. Das Triviale des „Musikantenstadels“ allerdings wird auch nicht durch seinen Zuspruch durch das Publikum bewiesen. Dass die Musikfarbe „Musikantenstadel“ nicht auf Österreich und Deutschland beschränkt ist, sondern mittlerweile zum Markenzeichen fast der ganzen Welt geworden ist, beweisen Einladungen aus immerhin 42 Ländern der Erde, darunter aus China. Der Schluss, dass ein Erfolg in den Playlists, ein Erfolg in den Mediazahlen darauf hinweist, dass es sich nicht um Kunstmusik handelt, ist zulässig, wenn man einschränkt, daß der Umkehrschluss, ein Nichterfolg, die jeweilige Musik nicht automatisch in den Kunstrang erhebt. Ebenso fahrlässig und an der Realität vorbeigehend ist auch der Schluss, dass Österreich ein Land des Trivialgeschmacks ist, nur weil das „Kufstein-Lied“, um hier ein Beispiel zu nennen, das mit Abstand am meisten verkaufte volkstümliche Lied und überhaupt Lied der Plattenbranche ist. Salzburg mit seinen Festspielen ist dagegen auch nicht der Beweis für das kulturell hochstehende Österreich, bedenkt man, dass die Salzburger Festspiele unter dem Titel „Kunst“ eine gigantische Vermarktungsindustrie darstellen – und nur im Gegensatz zur U-Branche auf einer anderen Ebene.
Die österreichische Unterhaltungsmusik-Szene besteht aber nicht nur aus allen Medien bekannten Namen, wie Fendrich und so weiter im einen Bereich, und aus Karl Moik im anderen Bereich, sondern sie besteht im wesentlichen Teil auch aus Namen wie Karl Grell, Willy Fantl, Friedl Althaller, Werner Brüggemann, Siegfried Lang u.a.m. Das sind z.T. dem breiten Publikum gar nicht bekannte, aber äußerst erfolgreiche Komponisten von Unterhaltungsmusik, deren Musik gespielt wird, ohne dass man sie als Grell`sche, Fantl`sche oder sonstige Musik definiert. Diese Komponisten, die als wahre professionelle Arbeiter im Hintergrund werken, wissen sich natürlich sehr genau den gewissen Strömungen anzupassen und wissen – wiewohl sie vielleicht gelegentlich über die Medien schimpfen, weil sie nicht genug aufgeführt – diese Medien sehr perfekt ausnützen. Ich meine hier nicht etwa, wer spielt wen, nur damit Tantiemen hereinkommen, sondern ich meine fanz einfach die Art ihrer Kompositionen. In einem Zeitalter, in dem Radiosendungen tagsüber generell nur Musikstücke in der Länge von 2.30 Minuten bis 3.00 Minuten Platz finden, um eine Chance zu haben, gespielt und nicht ausgeblendet zu werden, in dieser Zeit ist für die sogenannte „gehobene Unterhaltungsmusik“ – welch seltsamer, schwammiger Ausdruck – das heißt also für Unterhaltungsmusik, die auf einen Zeitraum von 10, 12, 15 Minuten konzipiert ist, wohl kein Platz mehr. Das hat zum einen einen sehr realen und auf den Markt bezogenen Grund: die Produktionskosten. Hat Karl Grell noch mit dem RTV-Orchester Novisad z.B. Aufnahmen solcher Unterhaltungsmusik gemacht oder als Leiter seines Wiener Solistenensembles zahlreiche Stücke eingespielt, so muss auf der anderen Seite diese Produktionsart aufgrund ihrer Kosten immer mehr in den Hintergrund treten. Moderne Technologien wie Computer-Synthesizer und dergleichen machen es in der neueren Studiotechnik mehr und mehr möglich, mit ein bis zwei Musikern ein großes Ensemble vorzutäuschen. Plattenfirmen ihrerseits produzieren auch kaum mehr Stücke, die länger sind als 4 bis 5 Minuten, sodass die sogenannte „Salonmusik“ oder gehobene Unterhaltungsmusik eben in den Hintergrund treten muss.
Wenn in der klassischen Musik der Diskussion über Ästhetik ein breiter Raum eingeräumt wird, so gilt eigentlich in der Unterhaltungsmusik die Formel: Ästhetik ist die Resultierende aus Wirtschaftlichkeit und Werberealität. Auch die österreichische Unterhaltungsmusik wird im Bereich der Massenprodukte, wie deutschsprachiger österreichischer Schlager, instrumentale Zwischenmusik für irgendwelche Sendungen, mehr und mehr und ganz eindeutig von einem Marketingprinzip gelenkt. Produktionskosten nieder halten, die Effizienz und Ausbeitbarkeit eines Musikstückes so hoch wie möglich schrauben, sodass hier eine maximale Profitchanche für die Produzenten herausschaut. Der Interpret ist schon längere Zeit eigentlich nur mehr eine Nebensache. Er ist austauschbar und letztlich auch machbar. Thomas Forstner ist ein zweifellos musikalischer Mann, der gerne Musik macht. Daß er beim Eurovisions-Song-Contest den 5. Platz erreichen konnte, dass er in der Folge davon als Thomas Forstner überall herumgereicht wird, das machen seine Hintermänner und zweifellos nicht er.
Österreichische Unterhaltungsmusik ist also ein von mehreren Faktoren bestimmter schwammiger Begriff, der umschreibt, dass es eine Vielzahl von Musikarten gibt, die heute dem Prinzip „Musik als Ware“ unterliegen. Sie erfüllt genau den Zweck, der dieser Musik heutzutage durch die Medien, aber auch durch das Publikum zugestanden wird. Musik, so besehen – und hier ist Unterhaltungsmusik an erster Stelle daran beteiligt – ist zweifellos eines der gefährlichsten Rauschgifte unserer Zeit. Dass Musik eine gewisse seelische Wirksamkeit hat, ist durch die Musiktherapie mittlerweile lang bewiesen. Dass Unterhaltungsmusik breitflächig eingesetzt wird, um in Warenhäusern die Kauflust anzuregen, um in Kuhställen die Milchproduktion zu erhöhen und um in Restaurants eine gewisse Eßlust aufkommen zu lassen, lässt andererseits den unmittelbaren Schluss zu, dass, will man sich eine gewisse geistige Unabhängigkeit bewahren und will man außerdem die Fähigkeit des Zuhörens nicht verlieren, man sehr selektiv der Unterhaltungsmusik folgen sollte und sie auch immer wieder mal abschalten muss. Text Ende

Gottfried Kraus Hg.: Musik in Österreich, Wien 1991

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