Unschärfen der Wahrnehmung

27. April 2010

Aus Wiener Sicht scheint die Welt anders zu sein – das steht schon auf der Autobahn in Richtung Wien. Dann also, wenn der Provinzösterreicher sein Bundesland verlässt und in die Bundeshauptstadt kommt.
Vorsicht, der Begriff Provinz hat nur vordergründig eine geographische Dimension, wie ich sie bei „Provinzösterreicher“ suggerierte, sondern ist vielmehr die Bezeichnung einer geistigen Haltung. Und die ist unabhängig von Orten, gilt also auch für Wien, für große Teile des Wiener Journalismus genauso wie für die Definition des Begriffes Kultur durch denselben Journalismus.
Zwei Beispiele:
Heinz Sichrovsky, für Kulturelles zuständiger Redakteur der, vor allem in dieser Hinsicht, bemerkenswerten Postille „News“, wähnt sich mit seinem Urteil wohl Gott gleich und unfehlbar. Die unnachahmliche Herablassung mit der er im Zuge der Neubesetzung der Staatsoperndirektion z.B. Simone Young, Chefin der Hamburger Staatsoper, abqualifizierte,  ist einfach gekonnt.
In Heft 23 seines Mediums schließlich schrieb er mit lesbarer Begeisterung, dass der neue Chef nur Neil Shicoff heißen könne.
Verständlich, denn die Sucht aller Medien vor allen anderen das staunende Volk zu informieren ist ein Teil ihres Selbstverständnisses. Erwünschter Nebeneffekt : zwischen den Zeilen kann man darüber hinaus lesen, dass der Verfasser auf Du mit den Entscheidungsträgern und immer aus erste Quelle informiert ist.
Dumm gelaufen !
Er berichtete von den kolportierten Wünschen des Kanzlers und nicht von den Entscheidungen der Bundesministerin.
Als Ausgleich musste er sofort nach Cleveland um Franz Welser-Möst gut zu stimmen – zu lesen in Nummer 24.
In einem Kommentar konnte er sich allerdings nicht zurückhalten  zu rügen, denn man hätte Shicoff mit der Art und Weise mit der man mit ihm in der Öffentlichkeit umgegangen sei, großes Unrecht angetan.
Dass er selbst mit seinem Artikel dazu heftig beigetragen hat, scheint keine Denkebene zu sein.
Unschärfe der Wahrnehmung !
In der Pause der Matinée am Sonntag auf Ö1 am 17.6. sprach Maria Rennhofer, ORF, mit Johannes Neupert, Geschäftsführer des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters und des neuen Festivals in Grafenegg über dasselbe.
Gratuliere. Gut so. Werbung tut allen gut. Bei passender Gelegenheit darf ich darauf zurückkommen.
Eine sprachliche Wendung allerdings war in diesem Gespräch schon bemerkenswert. Maria Rennhofer: “Zu den großen österreichischen Orchestern gehören die Philharmoniker, die Symphoniker, das RSO und natürlich“, wie höflich angemerkt, „die Tonkünstler. Ansonsten wird es dünn in Österreich“.
Gnädige Frau, darf ich Sie zu einer Rundreise einladen ?
Was ärgerlich ist, ist nicht die Hervorhebung eines Orchesters, sondern die unreflektierte Art der saloppen Bemerkung in einer Zeit, in der Existenzen von Kunstinstitutionen leicht gefährdet sein können.
Wienerische Unschärfe oder Unschärfe des Gedankens oder Verneigung ?

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