Gsöllpointner und Winkler

16. Oktober 2019

Musik ist heute überwiegend eine bildende Kunst.

Wir sind schon lange befeundet und hatten im Verlauf der Zeit viele Gespräche über Musik und seine bildende Kunst. Der folgende Ausschnitt aus einem Artikel über Musik und bildende Kunst ist diesen Gesprächen gewidmet.

Das öffentliche Leben ist von einem ausgeklügelten Bildsystem, das mehr Information in weniger Zeit transportieren soll und muss, abhängig. Die offensichtlich nützlichen Symbole an öffentlichen Gebäuden, der Orientierung dienend, bewirken aber in ihrer Gesamtheit ein Verstummen menschlicher Kommunikation, da Erklärungen, was wo zu finden wäre, überflüssig geworden sind.  Das gilt auch in gewisser Weise für die Musik.

Die CD in der Hand bedeutet „Musik“ ohne sie zu hören, wie das grüne Symbol an einer Ampel eines Fußgängers „gehen“ symbolisiert, das rote „stehen“.

Man hört, ohne zu hören.

Der Staat übernimmt durch die Bildersprache die Möglichkeit der Lenkung ohne Diskussion.

Die Medienindustrie unterstützt, durch hunderte an TV Kanälen, die Tendenz sprachlicher Rückbildung der Gesellschaft.

Die Wahrscheinlichkeit, dass das Vorhandensein einer nahezu unendlichen Bildauswahl, die dumm unterhaltend, nachhaltig den Geist deformiert, ist extrem hoch. 

Wir unterhalten uns bis zur Debilität.

Die Vision, aus hunderten und mehr Programmmöglichkeiten jeden Tag auswählen zu können, bedeutet nichts weniger als  zu einer verstümmelten Rezeption zu kommen. Die Verlockung, sich jeweils nur die gefälligen  Stellen auszusuchen und den Zusammenhang zu vergessen, führt zu  psychischer Wirkung auf den Konsumenten, da der ursprüngliche Zusammenhang der Musik nicht mehr gegeben ist und mehrere Gestaltungskriterien sich unkontrolliert in unserem Gehirn zu einer neuen Vorstellungswelt zusammensetzen. 

Eine virtuelle Welt entsteht, die wir nicht mehr steuern können.

Unsere Rezeption dessen, was wir als Kunst – oder als übergeordneten Begriff – Kultur definieren, ist folgerichtig auf eine Bildsprache bezogen.

Das Kunstwerk ist Ausgangspunkt eines Wahrnehmungsprozesses, der über das Auge läuft und einen komplexen Denkprozess auslöst – oder auslösen soll. Das Kunstwerk verändert sich in unserer Vorstellung. Bildende Kunst hat auch den „Vorteil“, dass ich die Zeit meiner Aufmerksamkeit genau dosieren kann, d.h. ich kann auch wegschauen. Bei Musik muss ich zuhören.

Musik hingegen ist die Kunst, die im Moment ihres Erklingens schon wieder unwiederbringlich vorbei ist. Es sei denn, jemand spielt das Musikstück noch einmal.

Die Kunst der Musik hat sich in der Wiederholung verändert. Musik hinterlässt in unserer Gedankenwelt wohl ein Bild, eine Erinnerung, die wir aber in der Vergangenheit nur  mühsam, ohne zu verblassen, im Gedächtnis behalten können. Um Musik bildgleich zu bewahren, bedurfte es komplizierter und in den meisten Fällen nicht von allen Konsumenten nachvollziehbarer Methoden: die Partitur, das Notenbild, das mit der Musik an sich nichts zu tun hat, wäre eine Möglichkeit; eine weitere die CD oder DVD.

Heute ist Musik durch  Medien  bildlich geworden.

Sie verursachen allerdings ein anderes Bild des Kunstwerkes „Musik“. Beim Lesen einer Partitur kommt zur Erinnerung die eigene Interpretation  hinzu und ergibt ebenso ein neues Bild von der Musik wie die Konzertwiederholung, da – siehe weiter oben – kein Konzert dem anderen gleicht. Aber wer kann schon Partitur lesen?

Das war zumindest bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts, bis zum Beginn des Radios so.

Erstmals in der Geschichte der Kunst wurde der Musik mit den neuen Medien des beginnenden Jahrhunderts  das Bild entzogen. Erstmals war sie kein „Videoclip“ für ihr Publikum, sondern erforderte eine ganz andere Art des Zuhörens und entwickelte  eine andere Art der Ästhetik. Jedes Konzert war und ist ein Videoclip im Sinne des Hörens durch Sehen. Ich sehe den Dirigenten, die Musiker, das Instrument, wodurch die Rezeption von Musik zu einem Synergieeffekt zwischen den beiden Sinnen wird.

Das Radio hat der Musik dieses Bild genommen und damit gleichzeitig dem Zuhörer eine Möglichkeit der Assoziation während des Zuhörens.

Erst MTV und ähnliche Fernsehsender haben das Bild in einer ganz klaren dramaturgischen Absicht wieder der Musik zurückgegeben, allerdings in einer die Musik dominierenden Absicht.

Bild dominiert Musik – und interpretiert sie damit.

Für den Konsumenten heute ist nicht mehr das Ertönen von Musik das Ereignis, sondern ihre nahezu hundertprozentige Verfügbarkeit. Musik umgibt uns  24 Stunden am Tag. Wir können uns unser Programm selbst zusammenstellen.

Musik löst nicht mehr bei jedem Hören eine eigene, neue assoziative Sprache in unserem Gehirn aus, sondern jegliche Musik  heute ist interpretationsarm, nivelliert, da sie auf Grund ihres Erscheinens auf CD oder ähnlichen Speichermedien keinen Spielraum für Assoziationen zulässt. Die Symphonie, dirigiert von…, und gespielt von…, immer wieder abgespielt, wird zum kulturellen Fertigmenü des Zuhörers, das er mit wenig Aufwand jederzeit abrufen kann – am besten nebenbei. Kulturell einseitiger Konsum im Gegensatz zur bildenden Kunst.

Dass er dann, wenn er dieselbe Musik einmal im Konzertsaal hört, zur Aussage neigt, dass dieses Orchester nicht so gut und die Interpretation dieses Dirigenten nicht so beispielhaft wäre, wie er es kennt, ist systemimmanent. Er sieht den Dirigenten, er hört nicht die Musik, er sieht die Musiker, er erkennt aber nicht wirklich, was sie gerade machen – Musik.  

Musik ist – so gesehen, nicht bildende Kunst, sondern Bildkunst.

Konzerte mit den Stars der Popszene haben längst den direkten Kontakt zur Musik unterbunden.

Die gesamte Promotion der Popstars und ihrer gelehrigen Kollegen von der E- Branche läuft über das Bildmedium Fernsehen. Plattencovers sind eine eigene Kunst

des Designs geworden und bestimmen schon durch ihr Aussehen die Zuhörererwartung.

Künstler werden von Marketingüberlegungen und dem Musikmarkt instrumentalisiert.

Kenner der Musikbranche wissen mit welchen Metaphern Musik in Bilder umzusetzen ist, um beim Zuhörer einen ähnlichen Effekt zu erzielen wie beim berühmten Pawlow‘schen Hund – Musik und das, was sie auslöst, bevor noch Musik zu hören ist.

Helle Farben, Kinder und Tiere – möglichst junge –  für den deutschen Schlager um eine schöne, problemlose Welt zu illustrieren, sonnige Natur für das klingende Österreich.

Das Bild der Szene, in der Musik passiert, das Erscheinungsbild des Musikers, der Musik macht,  das Plattencover, das Musik einhüllt, lösen Vorstellungen von Musik aus, die über den eigentlichen Inhalt der Musik hinweggehen.

Die Methoden des Marketings von Musik haben bewirkt, dass auch Musik durch ihre Konservierung zum definierten Kunstwerk wird. Nur mit dem Unterschied, dass  Assoziation nicht immer wieder neu, sondern ebenfalls definiert abläuft.

Musik schafft Denkräume unter der Voraussetzung, dass sie frei gelassen wird und nicht in Klarsichtpackung angeboten wird.

Die volkstümliche Musik, und sie gilt nur als Beispiel für andere Arten musikalischer Teilöffentlichkeiten, ist eine Musik der Lebensrealität. Welchen Inhalt sie auch immer vermittelt, scheinbar wahr wird er nur beim Livekonzert. In der Konserve wirkt sie so schal wie  Softporno im Fernsehen. Die Ausnahme ist, man stattet diese Musik mit einer Fülle an optischen Details aus, die dann den Zuhörer von der ganzen grausamen Realität der Künstlichkeit ablenkt.

Nicht nur in den vermeintlichen Tiefen der Musikproduktion ist dieses Prinzip der Bildhaftigkeit anzuwenden, sondern auch bei nahezu allen anderen Musikstilen der Gegenwart. Ein Konzert der Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen kann  wie eine Installation gesellschaftlicher Eitelkeit wirken und die immer gleichen Assoziationen von Besitz, gesellschaftlichem Ornament, schmückend Beiwerk einer Klasse, wie im vergangenen Jahrhundert hervorrufen.

Und was haben diese Analysen der Musik mit Gsöll und seiner Kunst zu tun?

Nichts, so scheint es. Seine Stahlplastiken sind in ihrer Variabilität nahezu unglaublich und sind nicht vordergründig in Musik umzusetzen.

Sie entsprechen, jener oben beschriebenen Musik, die freigelassen zu Denkprozessen anregt.

Versucht man seine Plastiken zu gestalten, indem man sie anders zusammensetzt, entsteht immer Neues. Auf die Gefahr hin, dass man sie nie wieder in den Urzustand zurückversetzen kann. Wie es mir immer wieder ergeht.

Darf man eine Skulptur Gsöll`s mit Musik vergleichen ?

Ja, wenn man bedenkt, dass der Ausgangspunkt für jede Musik die Notenschrift ist und weiß, dass Komponisten etwa bis Bach ihre Musik nach strengen, mathematischen Regeln komponiert haben und später auch formale Regeln die Komposition bestimmt haben.

Es ist eine gedankliche Übereinstimmung, der Titel hat meist nichts damit zu tun.

Nimmt man die Konstruktion und mathematische Grundlage aller Musik vor und bis Bach, ist ein Vergleich zwischen bildender Kunst und Musik nahezu zwingend

Idee, Planung, gedankliche Vorbereitung machen, wenn man es so formulieren will, aus Gsöllpoitner über die Schiene des Konstruktiven, des Mathematischen eine Art Bach der Skulptur.

alle Rechte bei Wolfgnag Winkler, OÖ Musikverlag

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