Das Brucknerorchester, Positionen
Die Identität eines Landes wird durch viele Teilbereiche gebildet: Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft, gesellschaftlicher Umgang miteinander und mit anderen. Im Bereich der Kultur wiederum durch seine Pflege des Nachwuchses,seine Einstellung zur Tradition und zur Moderne. Ist Kunst nur eine gesellschaftliche Behübschung oder ein Anliegen? Literatur, Musik, Architektur, Ars electronica, Theaterszene, Musiktheater, Universitäten und speziell, die Anton Bruckner Privatuniversität - und eben das Brucknerorchester.
Das Brucknerorchester war zu einem großen Teil der Kristallisationspunkteiner Entwicklung vom stinkenden Industriestandort Linz in einem bäuerlich anmutenden Land zu einer Industrie- und Kulturstadt in einem aufgeschlossenen Land der Vielfalt. Die Institutionen berühren und bedingen einander.
Das Landesmusikschulwerk war - natürlich nicht ausschließlich - der Ausbildung von Musikern für das Orchester gedacht, ebenso wie das Konservatorium, heute die Musikuniversität.. Das Landesmusikschulwerk entwickelte sich zu einer europaweit anerkannten Institution und die Anton Bruckner Universität versucht erfolgreich ein eigenes Profil zu entwickeln.
Die Ars electronica entwickelte sich aus dem Brucknerhaus zu einem wesentlichen Imageträger der Stadt und des Landes mit internationalen Verbindungen.
1803 als Theaterorchester gegründet war es seit Beginn an der Kernpunkt des musikalischen Geschehens, zuerst nur im Theater, später dann auch als Konzertorchester. 1938 wurde es gemäß der Zeit zum Reichsgauorchester. Sein Auftrag war in erster Linie sich dem Werk Anton Bruckners zu widmen.
Hitler wollte Linz zum kulturellen Zentrum Europas ausbauen und gründete 1942 das Reichsbrucknerorchester, das nach dem Krieg als Rundfunkorchester des neuen ReichssendersSt Florian fungieren sollte. Es sollte seinenPlatz qualitätsmäßig zwischen den Berliner und den Wiener Philharmonikern finden. Musiker aus beiden vorhandenen Orchestern in Linz und aus ganz Deutschland wurden dafür zusammengezogen.
Gastdirigenten waren unter anderem Clemens Krauss und Hans Knappertsbusch.
Ein Detail der Geschichte ist, dass sich auch Herbert von Karajan Hoffnungen machte dieses Orchester übernehmen zu können. Aber die Kulturförderungen wurden gegen Ende des Krieges eingestellt. Der amerikanische Hochkommissar schließlich löste das Orchester nach dem Krieg auf. Personelle Spuren dieser Gründung lassen sich bis heute nachweisen. Familien, die heute zu Linz gehören, waren ursprünglich zum Dienst in Linz befohlen worden
Es blieb nach dem Krieg das Orchester des Landestheaters – der Name Brucknerorchesters war zu belastet.Ein Grund dafürwarum erst Kurt Wöss, der damalige Chefdirigent, 1967 den Namen des Orchester auf Brucknerorchester Linz änderte.
Wöss war es auch, der das Bewusstsein für Konzertreisen des Orchesters förderte. Aus Gründen der Horizonterweiterungund auch aus orchesterpädagogischen Gründen. Die Qualität eines Orchester steigt, wenn man sie permanent abruft und fordert. Konzertreisen sind nicht lustig, sie sind künstlerisches „Konditionstraining“.
Theodor Guschelbauer verfolgte diesen Gedanken konsequent weiter.
Zeilinger, Mayerhofer, Sieghart und jetzt aktuell Dennis Russell Davies waren in ihren Bemühungen, das Orchester auch international zu positionieren, relativ erfolgreich. Relativ, weil es organisatorisch nicht einfach ist Verpflichtungen im Theater und Wünsche nach Konzertreisen zu koordinieren. Reisen nach Spanien, Deutschland, Japan, China und Amerika dokumentieren diese Entwicklung. Der von Reinhold Tauber (Redakteur der OÖN), Martin Sieghart (Chef des Brucknerrochesters von 1992 -2000) und mir „erfundene“ Verein der Freunde des Brucknerrochesters, Presto, konnte Dank der entscheidenden Hilfe von Josef Ackerl als Politiker, die Vorhaben des Orchesters kräftig unterstützen.
Das neue Musiktheater in Linz bremst diese Entwicklung fürs erste. Das ist verständlich, denkt man die Aufgabenfülle die durch Premieren im neuen Haus usw. entstanden sind, Es sollte aber nicht der Weg zurück zu einem Orchester des Landestheaters werden. Das wäre mittelfristig für die Musiker die falsche Vision.
Warum?
Orchesterreisen dienen dem Marketing des Herkunftslandes, sie sind Herausforderung für die Musiker, die in einemengen Zeitrahmen Höchstleistungen bringen müssen und sie haben eine unmittelbare Rückwirkung aufdie Tätigkeit in ihrem Theater oder in ihrem Konzertsaal , dem Brucknerhaus. Die Linzer und Oberösterreicher sind stolz auf ihr Orchester, aber der Hauch der Internationalität fördert ganz natürlich die Zuneigung, die wiederum für die Beziehungen zwischen dem Publikum und dem Orchester entscheidendist.
Nur Heimspiele sind zu wenig.
Den jungen Musikern ist das vielleicht noch nicht bewusst. Sie sind froh eine Anstellung zu haben und in kleineren Ensembles Kammermusik spielen zu können. Ein wichtiger Aspekt, aber letztlich zu klein gedacht
Dazu, provokante Fragen!
In Europa gibt es, je nach Definition ungefähr 650 Symphonieorchester, in Österreich sind es 35. Von diesen 650 Orchestern kennt man nur einen geringen Anteil dem Namen nach und nur ca. 60 fahren, wenigstens gelegentlich, auf Reisen.
Der Rest tut seinen Dienst in der jeweiligen Heimat - durchaus mit Qualität.
Dazu kommt die Frage, warum muss ich einherkömmliches Programm von einem Gastorchester hören, wenn es auch die heimischen Musiker draufhaben. Und umgekehrt!
Waskann also die Strategie für das Orchester, gesehen auf die nächsten Jahre sein – Heimspiel oder gelegentlich auch nach außen wirken?
Für mich keine Frage.
Will man den hohen Standard, der jetzt gegeben ist, halten und mit dem Nachfolger von Dennis Russel Davies weiterführen und womöglich auch noch erweitern, muss die Vielseitigkeit erhalten bleiben:
Konzerte,in erster Linie im Brucknerhaus, dem Stammhaus des Konzertorchesters.
Jede gegenseitige, programmatischeKannibalisierung führt mittelfristig zum Schaden aller Beteiligten. Es gilt nicht das Schielen nach Quoten, es gilt auch nicht persönliche Befindlichkeiten zum Maß aller Dinge zu machen- ganz nach dem Motto: mein Haus ist schöner als deines.
Das gilt nicht nur für die jeweiligen Intendanten der Häuser, sondern ganz besondersauch für die Politik von Stadt und Land.
Es gilt die spezifische eigene Corekompetenz zu stärken und gemeinsam mit den anderen ein Programm für die Besucher zu gestalten – sie sind das Ziel aller Bemühungen.
Ein Sandspielplatz vor dem Brucknerhaus unter dem Motto: wir unterhalten uns zu Tode, ist keine Vision.
Musiktheater im Musiktheater
Konzerte im Brucknerhaus
Konzertreisen, auch wenn sie Geld kosten als Investition in das Orchester nach Maßgabe der Möglichkeiten.
In der kommenden Saison spielt das Brucknerorchester wieder in Wien, was grundsätzlich gut ist aber doch auch eigentümlich anmutet. Denn im übergroßen Musikbauch dieser Stadt sich positionieren zu wollen ist zumindest mühsam, wenn nicht sinnlos.
Werden die Konzert von den Wienern überhaupt wahrgenommen?
England und Schottland in der nächsten Saison sind doch Hoffnungen im Sinne der obigen Forderung nach Reisen.
Das Brucknerorchester ist wichtiger Faktor der künstlerischen Identität des Landes. Sie gilt es zu halten und weiterzuentwickeln. Das neue Musiktheater ist eineattraktive Arbeitsstätte, die im Moment alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, letztlich abereine Landesbühne ist, sein muss . und bleiben wird. Mit allen Aufgaben, die man in Wien an den Bühnen nicht kennt. Die biedermeierliche Einstellung – wir haben ein schönes Haus, und das muss genügen – ist nicht haltbar.
Natürlich muss man nach guten Jahren auch sparen. Sinnvolles sparen fördert auch die Kreativität. Die Grenze zum tot-sparen aber ist klein und manchmal nicht gleich sichtbar. Nicht alles ist gleich umsetzbar, aber man sollte es nicht aus den Augen verlieren.
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