Wolfgang Winkler

Der profanisierte Bruckner

23. 2 2009

Bruckner als geistiges Bewusstsein

Wird die Musik Bruckners in der Neuen Musik, rezipiert?

Wenn ja, wenn nein, warum?

Inwieweit ist überhaupt die Frage nach der musikalischen Erbfolge, hier im Sinne der Folge und Auswirkung gemeint, berechtigt?

Es kann nicht zielführend sein, die musikalischen Strömungen dieses Jahrhunderts nach einigen Takten Brucknerscher Musik, oder anders, nach Brucknerscher Satzweise, Melodiebildung und Spurenelementen der Persönlichkeit Bruckners mit den Mitteln der herkömmlichen und in jeder Beziehung historischen Musikwissenschaft zu untersuchen.

Was bringt es dieser Musikwissenschaft, wenn sie einen zeitgenössischen Komponisten dabei ertappt, daß er bei der Komposition an Bruckner gedacht hat und das in Zitatform mehr oder minder deutlich zu erkennen gibt?

Interpretiert man allerdings den Begriff der Rezeption eines Komponisten, in unserem Falle eben Bruckners, mit dem kulturellem Gedächtnis, wie es unter anderem Vilem Flusser (die Philosophien der neuen Technologie, Berlin 1989) oder Karl Popper in ihren Schriften definiert haben, so ist daraus auch eine neue Denkweise abzuleiten. Die Naturwissenschaften, allen voran die Gehirnforschung, sind längst dabei Sätze zu formulieren wie: Wahrnehmung ist nicht mehr nur physiologisch, neurologisch und neuroanatomisch zu definieren, sondern verstärkt auch nach kulturell - evolutionären Gesichtspunkten.

Geist entwickelt sich durch kulturelle Entwicklungen und nicht nur durch die Biologie des Gehirns.

Die Analogie dazu muß also sein: Musik entwickelt sich durch das Bewußtsein ihrer Geschichte und nicht durch das Aufsuchen eventuell vorhandener Reste irgendeiner Musik in der Gegenwart. Das gilt auch für Bruckner. Die Erscheinungsformen Bruckners und seiner Musik in unserem Jahrhundert sind in dieser Definition allerdings für unsere Zeit hinterfragbar. Bruckners Musik ist nach Ausagen von Lehrern nur wenig geeignet Schüler zu begeistern, Die Neue Musik hat ihn wenig direkt verarbeitet, sieht man vom zitierten Bewußtsein ab, und die Rezeption Bruckners wird heute von außermusikalischen Parametern gelenkt: Marketing, Produktionsstrategien von CD - Firmen uäm.

Bruckner und seine Musik waren Teil einer Gesellschaft, der es ein Anliegen war über Kultur zu diskutieren. Eine Gesellschaft die sich auf ihre Weise ihrer Kulturmacher bewußt war. Mit einem sehr wesentlichen Zusatz.

Zur Zeit Bruckners war Musik nicht allgemein verfügbar. Sie war auf das Konzert, die Oper, das Ereignis oder die Bearbeitung für Klavier zu 4 Händen beschränkt und damit dementsprechend selten. Jedenfalls war sie kein rauschgiftartig verwendeter und verfügbarer Massenartikel, wie es seit 1924, dem Datum der offiziellen Einführung des Rundfunks, in Österreich der Fall ist. Das Radio und später das Fernsehen und die Schallplatte haben die Musik aus der seltenen, elitären Verfügbarkeit der Vorrundfunkzeit in eine Situation der ständigen Abrufbarkeit übergeführt. Der Gesellschaft des 19. Jhts war es außerdem leichter möglich ausschließlich von ihrer Musik, also von jener, die mit dem heute unheilvollem Namen E-Musik bezeichnet wird, zu sprechen und andere musikalische Ausdrucksformen der Zeit unter die Zensur fallen zu lassen, und zwar so perfekt, daß das teilweise heute noch in der Musikwissenschaft in Form von Nichtbehandlung ablesbar ist, als das im Zeitalter der Medien denkbar ist. Am Ende des 20 Jhts, fast genau 100 Jahre nach dem Tode Bruckners ist die Welt umgekehrt.

Die zweite Hälfte des 20. Jhts hat eine Welt der gleichberechtigten Teilöffentlichkeiten der Musik entstehen lassen und die Ideologie der Vermarktung.



Der touristische Bruckner

Christoph Leitl , Landeshauptmannstellvertreter und Finanzlandesrat in Oberösterreich, als solcher für den Fremdenverkehr zuständig, formulierte öffentlich in einer Tageszeitung, daß man den oberösterreichischen Fremdenverkehr nicht mehr nur mit dem Begriff der Sommerfrische beleben könne, sondern man müsse zu Begriffen wie Kaiserin Sissy und Anton Bruckner greifen um wirksam werden zu können. Was kennt man denn von Oberösterreich? , fragt Leitl an anderer Stelle: die Sommerfrische des Kaisers in Bad Ischl, die Donau und Künstler wie Anton Bruckner. Ungesagt meinte er wahrscheinlich durchaus auch Franz Lehar.

Die Überlegungen Leitls sind weder anrüchig noch unmoralisch, sie sind aus der Sicht eines für den Fremdenverkehrs Zuständigen absolut richtig. Die Versatzstücke unserer geistigen Geschichte müssen als Identifikationsikonen für das wirtschaftliche Wohlergehen herhalten. Mozart tut das Seine für Salzburg und für ganz Österreich in perfekter Weise, Bruckner, auf Grund seines kleineren Oeuvres ist gegenüber Ersterem im Nachteil, hat aber marketingmäßig gut umsetzbare Vorteile. Seine Persönlichkeit, soweit sie erforscht ist, bietet interessante, gut brauchbare Eigenschaften.

Bruckner war ein kleiner Volksschullehrer, sozusagen ein kleiner Mann aus dem Volk. Wer Windhaag nicht kennt, wo Bruckner seine erste Stelle innehatte, weiß nicht was es bedeutet haben muß den Ausdruck "kleiner Volksschullehrer" damals zu leben. Bruckner war katholisch, was an sich nichts ungewöhnliches für Österreicher ist, aber doch ist seine Nähe zum Stift St. Florian eine andere Art der Katholizität. Sie deutet auf Grund der Schutzfunktion des Stiftes für Bruckner auf einen exlusiveren Status hin als es die schlichte Dorfkirche vermocht hätte. Bruckner war ein Trinker: er liebte Bier, er liebte Kaffee, er ist also vor allem im ersterem Falle hervorrragend als Werbeträger verwendbar. Selbst seine Leibspeisen, wie Grießknödel und Geselchtes, lassen sich in Festivalzeiten von den Gourmettempeln bestens "Brucknerschnitzel in, an, im Dialog mit" umdeuten und, so kulturell aufgeladen, gut verkaufen.

Bruckner war ergehrzeig und machte eine Karriere, vom Volksschullehrer in Windhaag nach Wien zum Universitätsprofessor, die ihresgleichen sucht.

Und Bruckner war schamlos opportunistisch, er widmet alle seine Werke vermittels seiner Widmungen dem denkbar besten Erfolg. Eine Haltung, die in der Wirtschaft notwendig ist, in der Kunst aber anrüchig erscheint, weil im Verständnis des Begriffes Künstlertum, wie ihn das 19 Jahrundert verstanden hat und wie er nochwirksam ist, Kunst immer immateriell zu sein hat.

Bruckner ist auch als verschämter Frauenheld Stoff für Opern, die gerade im Entstehen sind. Die Frage ob er nicht vielleicht doch Vater geworden ist, kann die Brucknerdiözese der Vereherer schon mindestens so erregen, wie wahrscheinlich Bruckner im Fall des Falles.

Bruckner war aber auch in gewisser Weise ein "Spinner", der manchen rätselhaften Tick, sehr zum Erstaunen seiner Umwelt, auslebte.

In Summe ist das in Zeiten marketing-strategischer Überlegungen eine durchaus ausreichende Zahl an vermarktbaren Eigenschaften.

Dazu kommt, daß die Person Anton Bruckners ein wesentlicher Teil des künsterlischen Selbstbewußtseins des Landes Oberösterreich ist und dieses Selbstbewußtsein stolz gezeigt wird. Wenn Franz Welser Möst - ein anderer, wesentlich jüngerer Teil eben dieses Selsbstbewußtseins - in Linz oder Ried Bruckner dirigiert, hat das Kultcharakter. Hier verstärkt einer den anderen.

Es scheint bedenklich auf einem nur traditionellem Weg der Vermarktung, Sissy und Bruckner, zu bleiben und dieses Bild dann durch Werbung bei allen Betrachtern zu verfestigen. Der Kunstbegriff beginnt sich zu ändern, nur die Geschichte alleine kann nicht das Selbsbewußtsein eines Landes, einer Stadt , einer Gesellschaft ausmachen. Das Verhältnis der Gesellschaft zu den Ikonen der Vergangenheit beginnt sich einfach auch dadurch zu ändern weil eine Generation herangewachsen ist, die anderen Kunst- Einflüssen ausgesetzt ist, die nicht mehr das Trauma der "nach 45 Österreicher" hat, die Kulturbewußtsein notgedrungen mit Mozart, den Wiener Philharmonikern, der Wiener Staatsoper, und vieleicht da und dort auch mit Bruckner verwechselt haben. Die Gegenwart kommt in diesem Bild nicht vor. Die Gegenwart hat den Nachteil, daß sie nicht bekannt, keine Ikonenfunktion erfüllen kann, und auch zu wenig schmückend wirkt. Daher also doch besser Bruckner, wobei man wenig an ein zukünftiges Publikum dafür aber sehr wirtschaftlich denkt.

Ein Beispiel: Die Wirtschaftsuniversität Wien hat eine Untersuchung in über 40 Ländern der Welt durchgeführt mit der Frage, was denn nun an Östereich bekannt sei? Die Antwort war klar: mit Österreich werden der Musikvereinsaal in Wien auf Grund des Neujahskonzertes, ein Ballsall (der Kongreß tanzt noch immer), die Musik Mozarts, der Donauwalzer, und die Wiener Philahrmoniker in Verbindung gebracht. Daß man den typischen Berufseinheimschen, mit Lederhosen und der modischen Annäherung an eine Tracht und mit einer Trompete in der Hand, eher der Schweiz zurechnete mag ein schwacher Trost sein.

Was im 19. Jahrhundert an Kunst gefördert wurde, wird wirtschaftlich im 20. Jahrhundert ausgebeutet, wobei der Begriff Kunst keine inhaltliche sondern nur eine Marketingbedeutung hat.



Der digitale Bruckner

Die Überlegungen für die Klangwolkenmacher 1979, Walter Haupt und Hannes Leopoldseder, in der Folge ich selbst als ständiger Betreuer des Projektes, später Hans Hoffer, Welser Möst uam, kreisten immer um Bruckner. Zum einen galt es das Symbol Bruckner für die Akzeptanz dieses neuen Projekt verfügbar zu machen, zum anderen ist die Musik Bruckners auf Grund ihrer formalen Anlage und ihrer Klangblöcke im besonderen Maße geeignet im freien Raum gespielt zu werden. Was 1979 von Eugen Jochum als ein Sakrileg gegenüber Bruckner mit der Drohung beantwortet wurde, er werde nie mehr in Linz dirigieren, was er nicht einhielt, wurde im Verlauf der Jahre zum Symbol für Stadt und Land schlechthin. Und die einstigen Gegner des Projektes lassen sich mittlerweile beim alljährlichen Klangwolkencocktail gerne sehen, um dann in den Saal zu gehen und das Konzert dort wie eh und je zu hören, wenig beunruhigt, daß draußen im Donaupark unter Umständen Bruckner geschändet werden könnte. Die Frage, ob es ihm unter Umständen nicht sogar Recht hätte sein können schwebt ohnehin unbeantwortet im Raum.

Der öffentliche, mit Hilfe der verfügbaren Technologie erreichbare, Raum ist im 20. Jahrhundert überdies zu einem Faktor der Musik grundsätzlich geworden. Der Konzertsaal der Geschichte hat eine kultische Funktion auch auf der Rezeptionsebene von Musik ausgeübt. Er hatte zweifellos die Funktion einer Kirche, in der die Messe gelesen wird. Das Ungewohnte an der Klangwolke war dementsprechend anfangs auch die Entweihung des Konzertraumes mit der denkbaren Konsequenz, daß die Musik überhaupt aus ihm entschwinden würde und sich im offenen Raum ansiedlen würde. Ein Angst, die so absurd ist wie die Angst der Orchestermusiker vor dem Computer und der Möglichkeit, daß er die Musiker ersetzen würde. Die verschiedenen Open Airs von Opernstars liegen auf derselben Ebene. Musik hat sich in einem neuen Raum entwickelt. Bei Bruckner mag der der Tradition verpflichtete Konzersaalbesucher im besonderen Maße entsetzt gewesen sein (Jochum!), weil auch eine gewisse Eifersucht der E-Musikhörer, die sich gesellschaftlich kulturell als Elite verstehen, aufgetreten ist. Der offene Raum zwingt zum Teilen der Musik mit anderen, die womöglich an der falschen Stellen lachen und sich damit hoffnungslos als nicht der Elíte angehörig ausweisen. Bei einer der Klangwolken wurde untersucht, ob dieses Ereignis die Akzeptanz Bruckner erhöhte und z.B die Umsätze an Platten deutlich gestiegen wären. Das Ergebnis war ernüchternd: Der Linzer Plattenhandel wies auf eine, in Prozenten ausgedrückt, wesentliche Umsatzsteigerung von weit über hundert Prozent hin. Verschwiegen, zumindest in der esten Euphorie, wurde, daß die grundsätzlichen Umsätze an Bruckner CD sehr niedrig liegen und eine Steigerung von über 100 % schon daher leicht möglich ist. Umfragen unter Besuchern ergaben meist die Antwort, daß man nicht wisse wer genau Bruckner gewesen wäre, daß man aber die Musik im Raum einfach schön fände. Dazu kommt, daß das Erlebnis im Freien, ohne den Zwang des Abendanzuges, auf einem gewohnten Terrain, im Gegensatz zum Konzertsaal, angenehm empfunden wird. Es ist die reine Form des emotionellen Hörens, unbelastet durch irgendwelche Bildungschiffren.



Eine andere Digitalisierung

Die Erfindung der Schallplatte und des Radios hat auf die Musik eine tiefgreifende Wirkung ausgeübt und es ist heute nicht möglich über musikalische Phänomene zu diskutieren, ohne den Aspekt der vermehrten Öffentlichkeit und Verfügbarkeit von Musik zu bedenken. Musik ist für den Markt instrumentalisiert.

Plattenfirmen machen heute Aufnahmen mit Brucknerscher Musik ausschließlich nach den Regeln der Verkaufbarkeit und nicht im Hinblick auf eine kulturelle Notwendigkeit. Selbstverständlich muß z. B. der zu Weltruhm aufsteigende oö. Dirigent Franz Welser Möst gleichsam als Visitenkarte Bruckner dirigieren und seine Plattenfirma bereitet eine Gesamtaufnahme für 1996 vor. Bruckner mag durchaus ein Anliegen von Möst sein, die Pläne irgendeiner Plattenfirma wird das wenig beeinflussen. Bei Produktionsplänen werden von den internationalen Firmen die Vertretungen in den Erdteilen abgefragt, wie sie die Umsatzerwartungen sehen. Erst nach der Prüfung all dieser Schätzung kommt das grüne Licht für ein Projekt. Bei der Musik Bruckners ist leicht abzusehen, daß nicht alle Länder Bruckner gleich lieben = verkaufen. Eine diesbezügliche Untersuchung läuft zur Zeit.



Der kommerzielle Bruckner

Bruckner beim Internationalen Brucknerfest ist die Legitimation des Festivals. Mit seinem Werk alleine ist allerdings nicht einmal in Oberösterrich ein Festival auf Jahre hinaus zu gestalten. Bei anderen Konzerten gerät Bruckner oft genug zum Beweis der Fähigkeit eines Orchester, daß es die technisch anspruchsvolle Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jhts zu spielen im Stande ist, und somit eine Existenzberechtigung als Klangkörper hat.

Oder anders: Musik ist im gesellschaftlichen Zusammenspiel zu einer sozialen Eintrittskarte geworden. Der Besitz eines Abonnements ist wichtiger als die Musik, die man bei dieser Gelegenheit hört. Mit der lokalen Auswirkung, daß es in Oberösterreich sicherlich zum Spiel gehört über Bruckner sozusagen Bescheid zu wissen, zumindestens mehr als anderswo.

Wenn man mit einem Anton Brucknerzug von Graz nach Linz oder umgekehrt fahren kann, wenn man in das Brucknerkonservatorium gehen kann, wenn man das Brucknerorchester hören kann, so sind das Beispiele für die Verwendung des Namens als Symbol für Oberösterreich oder manchmal für die Bedeutung eines Hauses oder einer Institution.

Bruckner hat für uns einen hohen Warenwert, der mit seinem wahren Wert in keiner Weise korrelieren kann. Man mag es bedauern oder beklagen, aber jedewede Kunst der Geschichte wird instrumentlisiert und auf diese Art der Allegemeinheit zur Verfügung gestellt. Es ist sicher fragwürdig darüber nur von Kulturverlust zu reden. Peter Sellers hat in einem Gespräch mit Gerard Mortier formuliert, daß das wesentliche an den Werken der Vergangenheit für uns heute die Möglichkeit der immer wieder neuen Sicht und Bearbeitung ist. Es ist die Pflicht, so Sellers, aus Altem Neues zu machen. Der ständigen Frage nach der Gültigkeit einer Interpretation einer Brucknerschen Symphonie in Konzertkritiken, steht die viel wichtigere Frage der bewußten geistigen Stellungnahme gegenüber. Neugierde gegenüber scheinbar Bekanntem.

Blickpunkte 1995

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