Bruckner als geistiges Bewusstsein
Wird die Musik Bruckners in der Neuen Musik, rezipiert?
Wenn ja, wenn nein, warum?
Inwieweit ist überhaupt die Frage nach der musikalischen Erbfolge, hier im Sinne der Folge und Auswirkung gemeint, berechtigt?
Es
kann nicht zielführend sein, die musikalischen Strömungen dieses
Jahrhunderts nach einigen Takten Brucknerscher Musik, oder anders, nach
Brucknerscher Satzweise, Melodiebildung und Spurenelementen der
Persönlichkeit Bruckners mit den Mitteln der herkömmlichen und in jeder
Beziehung historischen Musikwissenschaft zu untersuchen.
Was
bringt es dieser Musikwissenschaft, wenn sie einen zeitgenössischen
Komponisten dabei ertappt, daß er bei der Komposition an Bruckner
gedacht hat und das in Zitatform mehr oder minder deutlich zu erkennen
gibt?
Interpretiert man allerdings den Begriff der Rezeption
eines Komponisten, in unserem Falle eben Bruckners, mit dem kulturellem
Gedächtnis, wie es unter anderem Vilem Flusser (die Philosophien der
neuen Technologie, Berlin 1989) oder Karl Popper in ihren Schriften
definiert haben, so ist daraus auch eine neue Denkweise abzuleiten. Die
Naturwissenschaften, allen voran die Gehirnforschung, sind längst dabei
Sätze zu formulieren wie: Wahrnehmung ist nicht mehr nur physiologisch,
neurologisch und neuroanatomisch zu definieren, sondern verstärkt auch
nach kulturell - evolutionären Gesichtspunkten.
Geist entwickelt sich durch kulturelle Entwicklungen und nicht nur durch die Biologie des Gehirns.
Die
Analogie dazu muß also sein: Musik entwickelt sich durch das Bewußtsein
ihrer Geschichte und nicht durch das Aufsuchen eventuell vorhandener
Reste irgendeiner Musik in der Gegenwart. Das gilt auch für Bruckner.
Die Erscheinungsformen Bruckners und seiner Musik in unserem
Jahrhundert sind in dieser Definition allerdings für unsere Zeit
hinterfragbar. Bruckners Musik ist nach Ausagen von Lehrern nur wenig
geeignet Schüler zu begeistern, Die Neue Musik hat ihn wenig direkt
verarbeitet, sieht man vom zitierten Bewußtsein ab, und die Rezeption
Bruckners wird heute von außermusikalischen Parametern gelenkt:
Marketing, Produktionsstrategien von CD - Firmen uäm.
Bruckner
und seine Musik waren Teil einer Gesellschaft, der es ein Anliegen war
über Kultur zu diskutieren. Eine Gesellschaft die sich auf ihre Weise
ihrer Kulturmacher bewußt war. Mit einem sehr wesentlichen Zusatz.
Zur
Zeit Bruckners war Musik nicht allgemein verfügbar. Sie war auf das
Konzert, die Oper, das Ereignis oder die Bearbeitung für Klavier zu 4
Händen beschränkt und damit dementsprechend selten. Jedenfalls war sie
kein rauschgiftartig verwendeter und verfügbarer Massenartikel, wie es
seit 1924, dem Datum der offiziellen Einführung des Rundfunks, in
Österreich der Fall ist. Das Radio und später das Fernsehen und die
Schallplatte haben die Musik aus der seltenen, elitären Verfügbarkeit
der Vorrundfunkzeit in eine Situation der ständigen Abrufbarkeit
übergeführt. Der Gesellschaft des 19. Jhts war es außerdem leichter
möglich ausschließlich von ihrer Musik, also von jener, die mit dem
heute unheilvollem Namen E-Musik bezeichnet wird, zu sprechen und
andere musikalische Ausdrucksformen der Zeit unter die Zensur fallen zu
lassen, und zwar so perfekt, daß das teilweise heute noch in der
Musikwissenschaft in Form von Nichtbehandlung ablesbar ist, als das im
Zeitalter der Medien denkbar ist. Am Ende des 20 Jhts, fast genau 100
Jahre nach dem Tode Bruckners ist die Welt umgekehrt.
Die
zweite Hälfte des 20. Jhts hat eine Welt der gleichberechtigten
Teilöffentlichkeiten der Musik entstehen lassen und die Ideologie der
Vermarktung.
Der touristische Bruckner
Christoph
Leitl , Landeshauptmannstellvertreter und Finanzlandesrat in
Oberösterreich, als solcher für den Fremdenverkehr zuständig,
formulierte öffentlich in einer Tageszeitung, daß man den
oberösterreichischen Fremdenverkehr nicht mehr nur mit dem Begriff der
Sommerfrische beleben könne, sondern man müsse zu Begriffen wie
Kaiserin Sissy und Anton Bruckner greifen um wirksam werden zu können.
Was kennt man denn von Oberösterreich? , fragt Leitl an anderer Stelle:
die Sommerfrische des Kaisers in Bad Ischl, die Donau und Künstler wie
Anton Bruckner. Ungesagt meinte er wahrscheinlich durchaus auch Franz
Lehar.
Die Überlegungen Leitls sind weder anrüchig noch
unmoralisch, sie sind aus der Sicht eines für den Fremdenverkehrs
Zuständigen absolut richtig. Die Versatzstücke unserer geistigen
Geschichte müssen als Identifikationsikonen für das wirtschaftliche
Wohlergehen herhalten. Mozart tut das Seine für Salzburg und für ganz
Österreich in perfekter Weise, Bruckner, auf Grund seines kleineren
Oeuvres ist gegenüber Ersterem im Nachteil, hat aber marketingmäßig gut
umsetzbare Vorteile. Seine Persönlichkeit, soweit sie erforscht ist,
bietet interessante, gut brauchbare Eigenschaften.
Bruckner
war ein kleiner Volksschullehrer, sozusagen ein kleiner Mann aus dem
Volk. Wer Windhaag nicht kennt, wo Bruckner seine erste Stelle
innehatte, weiß nicht was es bedeutet haben muß den Ausdruck "kleiner
Volksschullehrer" damals zu leben. Bruckner war katholisch, was an sich
nichts ungewöhnliches für Österreicher ist, aber doch ist seine Nähe
zum Stift St. Florian eine andere Art der Katholizität. Sie deutet auf
Grund der Schutzfunktion des Stiftes für Bruckner auf einen exlusiveren
Status hin als es die schlichte Dorfkirche vermocht hätte. Bruckner war
ein Trinker: er liebte Bier, er liebte Kaffee, er ist also vor allem im
ersterem Falle hervorrragend als Werbeträger verwendbar. Selbst seine
Leibspeisen, wie Grießknödel und Geselchtes, lassen sich in
Festivalzeiten von den Gourmettempeln bestens "Brucknerschnitzel in,
an, im Dialog mit" umdeuten und, so kulturell aufgeladen, gut
verkaufen.
Bruckner war ergehrzeig und machte eine Karriere,
vom Volksschullehrer in Windhaag nach Wien zum Universitätsprofessor,
die ihresgleichen sucht.
Und Bruckner war schamlos
opportunistisch, er widmet alle seine Werke vermittels seiner Widmungen
dem denkbar besten Erfolg. Eine Haltung, die in der Wirtschaft
notwendig ist, in der Kunst aber anrüchig erscheint, weil im
Verständnis des Begriffes Künstlertum, wie ihn das 19 Jahrundert
verstanden hat und wie er nochwirksam ist, Kunst immer immateriell zu
sein hat.
Bruckner ist auch als verschämter Frauenheld Stoff
für Opern, die gerade im Entstehen sind. Die Frage ob er nicht
vielleicht doch Vater geworden ist, kann die Brucknerdiözese der
Vereherer schon mindestens so erregen, wie wahrscheinlich Bruckner im
Fall des Falles.
Bruckner war aber auch in gewisser Weise ein
"Spinner", der manchen rätselhaften Tick, sehr zum Erstaunen seiner
Umwelt, auslebte.
In Summe ist das in Zeiten marketing-strategischer Überlegungen eine durchaus ausreichende Zahl an vermarktbaren Eigenschaften.
Dazu
kommt, daß die Person Anton Bruckners ein wesentlicher Teil des
künsterlischen Selbstbewußtseins des Landes Oberösterreich ist und
dieses Selbstbewußtsein stolz gezeigt wird. Wenn Franz Welser Möst -
ein anderer, wesentlich jüngerer Teil eben dieses Selsbstbewußtseins -
in Linz oder Ried Bruckner dirigiert, hat das Kultcharakter. Hier
verstärkt einer den anderen.
Es scheint bedenklich auf einem
nur traditionellem Weg der Vermarktung, Sissy und Bruckner, zu bleiben
und dieses Bild dann durch Werbung bei allen Betrachtern zu
verfestigen. Der Kunstbegriff beginnt sich zu ändern, nur die
Geschichte alleine kann nicht das Selbsbewußtsein eines Landes, einer
Stadt , einer Gesellschaft ausmachen. Das Verhältnis der Gesellschaft
zu den Ikonen der Vergangenheit beginnt sich einfach auch dadurch zu
ändern weil eine Generation herangewachsen ist, die anderen Kunst-
Einflüssen ausgesetzt ist, die nicht mehr das Trauma der "nach 45
Österreicher" hat, die Kulturbewußtsein notgedrungen mit Mozart, den
Wiener Philharmonikern, der Wiener Staatsoper, und vieleicht da und
dort auch mit Bruckner verwechselt haben. Die Gegenwart kommt in diesem
Bild nicht vor. Die Gegenwart hat den Nachteil, daß sie nicht bekannt,
keine Ikonenfunktion erfüllen kann, und auch zu wenig schmückend wirkt.
Daher also doch besser Bruckner, wobei man wenig an ein zukünftiges
Publikum dafür aber sehr wirtschaftlich denkt.
Ein Beispiel:
Die Wirtschaftsuniversität Wien hat eine Untersuchung in über 40
Ländern der Welt durchgeführt mit der Frage, was denn nun an Östereich
bekannt sei? Die Antwort war klar: mit Österreich werden der
Musikvereinsaal in Wien auf Grund des Neujahskonzertes, ein Ballsall
(der Kongreß tanzt noch immer), die Musik Mozarts, der Donauwalzer, und
die Wiener Philahrmoniker in Verbindung gebracht. Daß man den typischen
Berufseinheimschen, mit Lederhosen und der modischen Annäherung an eine
Tracht und mit einer Trompete in der Hand, eher der Schweiz zurechnete
mag ein schwacher Trost sein.
Was im 19. Jahrhundert an Kunst
gefördert wurde, wird wirtschaftlich im 20. Jahrhundert ausgebeutet,
wobei der Begriff Kunst keine inhaltliche sondern nur eine
Marketingbedeutung hat.
Der digitale Bruckner
Die
Überlegungen für die Klangwolkenmacher 1979, Walter Haupt und Hannes
Leopoldseder, in der Folge ich selbst als ständiger Betreuer des
Projektes, später Hans Hoffer, Welser Möst uam, kreisten immer um
Bruckner. Zum einen galt es das Symbol Bruckner für die Akzeptanz
dieses neuen Projekt verfügbar zu machen, zum anderen ist die Musik
Bruckners auf Grund ihrer formalen Anlage und ihrer Klangblöcke im
besonderen Maße geeignet im freien Raum gespielt zu werden. Was 1979
von Eugen Jochum als ein Sakrileg gegenüber Bruckner mit der Drohung
beantwortet wurde, er werde nie mehr in Linz dirigieren, was er nicht
einhielt, wurde im Verlauf der Jahre zum Symbol für Stadt und Land
schlechthin. Und die einstigen Gegner des Projektes lassen sich
mittlerweile beim alljährlichen Klangwolkencocktail gerne sehen, um
dann in den Saal zu gehen und das Konzert dort wie eh und je zu hören,
wenig beunruhigt, daß draußen im Donaupark unter Umständen Bruckner
geschändet werden könnte. Die Frage, ob es ihm unter Umständen nicht
sogar Recht hätte sein können schwebt ohnehin unbeantwortet im Raum.
Der
öffentliche, mit Hilfe der verfügbaren Technologie erreichbare, Raum
ist im 20. Jahrhundert überdies zu einem Faktor der Musik grundsätzlich
geworden. Der Konzertsaal der Geschichte hat eine kultische Funktion
auch auf der Rezeptionsebene von Musik ausgeübt. Er hatte zweifellos
die Funktion einer Kirche, in der die Messe gelesen wird. Das
Ungewohnte an der Klangwolke war dementsprechend anfangs auch die
Entweihung des Konzertraumes mit der denkbaren Konsequenz, daß die
Musik überhaupt aus ihm entschwinden würde und sich im offenen Raum
ansiedlen würde. Ein Angst, die so absurd ist wie die Angst der
Orchestermusiker vor dem Computer und der Möglichkeit, daß er die
Musiker ersetzen würde. Die verschiedenen Open Airs von Opernstars
liegen auf derselben Ebene. Musik hat sich in einem neuen Raum
entwickelt. Bei Bruckner mag der der Tradition verpflichtete
Konzersaalbesucher im besonderen Maße entsetzt gewesen sein (Jochum!),
weil auch eine gewisse Eifersucht der E-Musikhörer, die sich
gesellschaftlich kulturell als Elite verstehen, aufgetreten ist. Der
offene Raum zwingt zum Teilen der Musik mit anderen, die womöglich an
der falschen Stellen lachen und sich damit hoffnungslos als nicht der
Elíte angehörig ausweisen. Bei einer der Klangwolken wurde untersucht,
ob dieses Ereignis die Akzeptanz Bruckner erhöhte und z.B die Umsätze
an Platten deutlich gestiegen wären. Das Ergebnis war ernüchternd: Der
Linzer Plattenhandel wies auf eine, in Prozenten ausgedrückt,
wesentliche Umsatzsteigerung von weit über hundert Prozent hin.
Verschwiegen, zumindest in der esten Euphorie, wurde, daß die
grundsätzlichen Umsätze an Bruckner CD sehr niedrig liegen und eine
Steigerung von über 100 % schon daher leicht möglich ist. Umfragen
unter Besuchern ergaben meist die Antwort, daß man nicht wisse wer
genau Bruckner gewesen wäre, daß man aber die Musik im Raum einfach
schön fände. Dazu kommt, daß das Erlebnis im Freien, ohne den Zwang des
Abendanzuges, auf einem gewohnten Terrain, im Gegensatz zum
Konzertsaal, angenehm empfunden wird. Es ist die reine Form des
emotionellen Hörens, unbelastet durch irgendwelche Bildungschiffren.
Eine andere Digitalisierung
Die
Erfindung der Schallplatte und des Radios hat auf die Musik eine
tiefgreifende Wirkung ausgeübt und es ist heute nicht möglich über
musikalische Phänomene zu diskutieren, ohne den Aspekt der vermehrten
Öffentlichkeit und Verfügbarkeit von Musik zu bedenken. Musik ist für
den Markt instrumentalisiert.
Plattenfirmen machen heute
Aufnahmen mit Brucknerscher Musik ausschließlich nach den Regeln der
Verkaufbarkeit und nicht im Hinblick auf eine kulturelle Notwendigkeit.
Selbstverständlich muß z. B. der zu Weltruhm aufsteigende oö. Dirigent
Franz Welser Möst gleichsam als Visitenkarte Bruckner dirigieren und
seine Plattenfirma bereitet eine Gesamtaufnahme für 1996 vor. Bruckner
mag durchaus ein Anliegen von Möst sein, die Pläne irgendeiner
Plattenfirma wird das wenig beeinflussen. Bei Produktionsplänen werden
von den internationalen Firmen die Vertretungen in den Erdteilen
abgefragt, wie sie die Umsatzerwartungen sehen. Erst nach der Prüfung
all dieser Schätzung kommt das grüne Licht für ein Projekt. Bei der
Musik Bruckners ist leicht abzusehen, daß nicht alle Länder Bruckner
gleich lieben = verkaufen. Eine diesbezügliche Untersuchung läuft zur
Zeit.
Der kommerzielle Bruckner
Bruckner beim
Internationalen Brucknerfest ist die Legitimation des Festivals. Mit
seinem Werk alleine ist allerdings nicht einmal in Oberösterrich ein
Festival auf Jahre hinaus zu gestalten. Bei anderen Konzerten gerät
Bruckner oft genug zum Beweis der Fähigkeit eines Orchester, daß es die
technisch anspruchsvolle Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jhts zu
spielen im Stande ist, und somit eine Existenzberechtigung als
Klangkörper hat.
Oder anders: Musik ist im gesellschaftlichen
Zusammenspiel zu einer sozialen Eintrittskarte geworden. Der Besitz
eines Abonnements ist wichtiger als die Musik, die man bei dieser
Gelegenheit hört. Mit der lokalen Auswirkung, daß es in Oberösterreich
sicherlich zum Spiel gehört über Bruckner sozusagen Bescheid zu wissen,
zumindestens mehr als anderswo.
Wenn man mit einem Anton
Brucknerzug von Graz nach Linz oder umgekehrt fahren kann, wenn man in
das Brucknerkonservatorium gehen kann, wenn man das Brucknerorchester
hören kann, so sind das Beispiele für die Verwendung des Namens als
Symbol für Oberösterreich oder manchmal für die Bedeutung eines Hauses
oder einer Institution.
Bruckner hat für uns einen hohen
Warenwert, der mit seinem wahren Wert in keiner Weise korrelieren kann.
Man mag es bedauern oder beklagen, aber jedewede Kunst der Geschichte
wird instrumentlisiert und auf diese Art der Allegemeinheit zur
Verfügung gestellt. Es ist sicher fragwürdig darüber nur von
Kulturverlust zu reden. Peter Sellers hat in einem Gespräch mit Gerard
Mortier formuliert, daß das wesentliche an den Werken der Vergangenheit
für uns heute die Möglichkeit der immer wieder neuen Sicht und
Bearbeitung ist. Es ist die Pflicht, so Sellers, aus Altem Neues zu
machen. Der ständigen Frage nach der Gültigkeit einer Interpretation
einer Brucknerschen Symphonie in Konzertkritiken, steht die viel
wichtigere Frage der bewußten geistigen Stellungnahme gegenüber.
Neugierde gegenüber scheinbar Bekanntem.
Blickpunkte 1995
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