Es geht nichts über die unnachahmliche, herablassende, dennoch freundliche Haltung eines Ober gegenüber seinen Kaffee-heischenden Gästen in einem Wiener Kaffeehaus. Dieses " Sie wünschen mein Herr", von seiner Seite über den Tisch genuschelt, schafft Klarheit in der Rangordnung, schafft Distanz und doch Nähe, sagt mir, dass ich als Gast wohl oben in der Skala der Beachtung stehe, aber doch ein Stück unter der Allmacht eines Obers in seinem Kaffeehaus.
Also, frei nach Georg Kreisler: "hier fühl' ich mich Zuhause!"
Oder anders.
Es geht nichts über die Intimität des Beisls, in dem ein Teil der Seele geparkt ist, in dem der Wirt das Seidl über den Tresen schickt, bevor noch etwas gesagt wurde. In dem Freunde, Gleichgesinnte im Geiste des Beisls, ein für den Außenstehenden unverständliches "griass di" zwischen den Lippen zerquetschen und die Neuigkeiten von gestern erzählen und den ewig gleichen, lauschen, als hörten sie diese zum ersten Mal.
Mit Aufmerksamkeit, mit Anteilnahme.
Dazwischen Tagesgeschehen.
Die immer gleichen Vorwürfe an die Politiker, dass sie lahm seien, nichts weiterbrächten und meist auch noch korrupt, vor allem aber entschieden überbezahlt – von unserem Steuergeld.
Mit heftigen Diskussionen, je nach Standpunkten oder politischer Nähe zu einer Parteiideologie.
Es ist der Puls des Lebens. Man braucht sich nichts vorzumachen, man ist was man ist - im Beisl.
Das Stammbeisl ist ein Stück innerster Heimat, fern den Gurkenkrümmungsvorschriften der EU, fern von Angela Merkel und anderen, die erklären wollen wie man zu leben hätte, fern der Welt außen.
Es gilt die kleine Welt, die uns umgibt, das Kretzl, die unmittelbare Umgebung.
Natürlich kommentieren wir mit zutiefst österreichischer Beredsamkeit alle Geschehnisse, denn nirgendwo verstehen wir soviel von den relevanten Dingen der Welt wie eben im Beisl. Jeder Fußballtrainer ist ein Stümper, wenn er nicht unsre Aufstellung annimmt, jeder Politiker, auch der, der sich durchaus Gedanken macht, ist per se kognitiv suboptimiert - auf österreichisch ein Trottel - folgt er nicht der Denklogik des Beisls.
Nachdenklich stimmt mich dann nur, wenn im Beisl plötzlich ein junger Mann mich in piefchinesischem Akzent höflich , freundlich, launig, lustig fragt: was darf ich Ihnen bringen, ein Seidel ? (norddeutsch gesprochen)
Nicht Seidl, nein Seidel! „dl“ sondern „del!“ Nichts trennt mehr als die gemeinsame Sprache (Karl Kraus) !
Ich bin ein überzeugter Europäer.
Jetzt, beim Seidel, wird mir schlagartig bewusst, ist das Beisl in Europa angekommen. Natürlich darf der junge Mann mich fragen ob ich ein Seidel will, genauso könnte mich ein anderer Fragen:" du Seidel wollenl?"
Das ist unser buntes, gemeinsames Europa der Unterschiedlichkeiten.
Aber versteht der junge Mann auch so viel von inneren Zwängen der österreichischen Seele, von Aufstellungsproblemen, von österreichischer Politik?
Ist er schon reif – integriert heißt das wohl an anderer Stelle – eine wichtige Funktion im Beisl, nämlich die des Kellners einzunehmen ? Des Zuhörers, des Seelendoktors, des Partners ?
Mir wird bewusst, dass wir dem jungen Mann helfen müssen, wenn wir uns helfen wollen. In einer Werbung heißt es: „raunz nicht, kauf!“ Im gemeinsamen Europa muss es heißen:“ raunz nicht, hilf dem Gemeinsamen. Es gibt keine Alternative.
Angst vor dem Anderen ist, in junger Sprache gesagt, uncool. Den populistischen Volksverblödern in der Politik ist Selbstbewusstsein entgegen zu setzen.
Wir müssen dazu stehen, dass Sahnetorte und Topfenkuchen annähernd das Gleiche sein können
Junger Mann: „Noch ein Bier“
Copyright © Wolfgang Winkler 2003-2012. Webdesign: DCP.Gilligsberger. Protected and licensed under a Creative Commons License.