Der Begriff Kunst ist tot!?
26. April 2010
Das Drei-Mäderlhaus
Text Anfang In seinem Film “ Mit meinen heißen Tränen“ stellt Regisseur Fritz Lehner Franz Schubert als einen leidenden Menschen am unteren Rand der Gesellschaft dar, dessen einzige Vision der Anerkennung seiner Kreativität war. Sie ist sein Mittel der bedrohenden Situation, hervorgerufen durch seine Geschlechtskrankheit und der damit verbundenen Gefahr gesellschaftlicher Ächtung, zu begegnen. Die Figur Schuberts ist in diesem Film aller bekannten Klischees, die durch Biographien gebildet wurden, entkleidet. Ein kleiner, sozial schwacher Lehrer, der auf der Suche nach ein bisschen Lust sich ansteckt und damit nicht nur sein Leben sondern auch seine kleine Existenz gefährdet.
Ein unschönes Bild für eine Gesellschaft, die im Biedermeier, ihr Selbstbewußtsein ganz wesentlich aus dem Besitz von Kunst bezog. Der Künstler selbst war entsprechend in die Zunft der Lieferanten einzuordnen. Kunst war, was diese immer mehr aus dem Großbürgertum kommende Schicht zuließ, mit der Begründung, dass sie es auch durch ihr Mäzenatentum ermöglichte.
Franz Schubert und andere mussten zum Ornament einer besitzenden Klasse und damit zur Kunst für Eliten werden. Dass in der Folge sich die nicht dieser Schicht Zugehörigen versuchten ihr eigenes künstlerisches Selbstverständnis in Form von Kunstvereinigungen aller Art zu begründen, ist der Beginn einer bis heute tief auseinandergehenden Interpretation des Begriffes Kunst.
Die Kritik auf Lehners Film war im wesentlichen von reiner Emotion getragen und gab damit auch inhaltlich einen deutlichen Hinweis auf den Zustand des Kunstbewusstseins in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Vorwürfe reichten von unwissenschaftlich, so als wäre die Biographie eines Künstlers gleichzusetzen mit der Wahrheit über ihn, bis zu „das Bild Schubert“ diskreditierend.
Gerade letztere Vorwürfe waren im besonderen Maße skurril, da sie bewiesen, daß das Klischee des Schubert des Drei Mäderlhauses ernsthaft und liebevoll in das Bewusstsein aufgenommen und als Wahrheit verstanden wurde, ganz in der Ideologie der Gartenzwerge. Es entspricht der Doppelmoral der Gesellschaft, die den geschlechtskranken Künstler ablehnt, weil er damit ein unangenehmes Bild des eigenen Menschseins ist. Nachzulesen unter anderem bei Josef Roth.
Kunst und Künstler, haben scheinbar die Verpflichtung ausschließlich das Schöne und Angenehme darzustellen. Ein Kunstverständnis, das auch am Ende des 2o Jahrhunderts nach wie vor lebendig ist. Mit solcher Kunst füllen wir Museen und lassen das Bewusstsein unserer kulturellen Vergangenheit staatlich gefördert, verstauben.
Die zeitgenössische Kunst im Biedermeier des 20. Jahrhunderts, das ist die Zeit in der wir leben, diesem Traum von der heilen Welt keinen, oder zu wenig Raum gibt, weicht der Kunstkonsument aus. Er sucht sich seine Gartenzwergidylle, die ihm die zeitgenössische Kunst nicht vermittelt mit der Bemerkung, dass sie nicht mehr verständlich wäre auf anderen Gebieten. Denn, so die Argumentation, Kunst habe der seelischen Erbauung zu dienen und nicht einer anstrengenden und teilweise unangenehmen Auseinandersetzung mit den Problemen der Welt. Die heile Welt des Schlagers mit den Inhalten von Sommer, Sonne, Liebe und Erfolg, das Stilleben am Weiher, das die zitierte kleine Gartenzwergige Idylle vortäuscht oder die Perfektion der Präsentation von Disneyworld suggerieren die Ästhetik des nur Schönen und spiegeln mit allen Regeln des modernen Marketing vor Kunst zu sein.
Ideologien
Formuliert man Kunst als eine gestaltete Vision des Lebens, so ist mit dem Zusammenbruch der visionären Kräfte der gesellschaftlichen Systeme, der militant auf Tradition ausgerichteten Argumentation innerhalb der katholischen Kirche, notgedrungen und folgerichtig auch ein Zusammenbruch der Struktur, oder besser eigentlich eine Neudeutung des Begriffes Kunst einhergegangen.
Ein „Kapitalismus als permanente Revolution“, in der Formulierung von Peter Sloterdijk, eine visionär hilflose Kirche, sind das Umfeld, in dem die Kunst gefördert wird, die – wie im 19 Jahrhundert – dem Schmuck der Gesellschaft dient. Dadurch, dass sie durch permanente Wiederholungen bekannt ist, ist sie auch scheinbar verständlich. Gleichzeitig ist es das Umfeld in dem alles nicht in diese Kategorie fallende sehr gerne in den Bereich einer Sub- oder auch Unkultur geschoben wird. Damit ist es, im Sinne eines Kulturbegriffes der Mehrheit – Kunst ist, was vielen gefällt – auch leicht unterdrückbar.
Eine Intoleranz der Masse ist leicht erzeugbar. Kunst zieht sich daher in Teilöffentlichkeiten zurück, weil eine den Begriff auf andere Art füllenden Vision nicht existent ist. Die Positionierung eines Gegenstandes im Raum ist seine Definition als Kunstgegenstand. Ein Bild ist Kunst, weil es im Museum hängt. Es ist Kunst, weil es in einer Galerie oder in einem Geschäft als Kunst angeboten wird und es ist Kunst, weil es von einem bekannten Maler gemalt wurde. Würde man den Namen des Schöpfers weglassen, würde man das Bild in eine unbeachtete Ecke stellen, sozusagen ohne Kommentar, ohne Positionierung, würde es nicht mehr als Kunst gelten. Zu sehr sind wir gewohnt als Kunst zu akzeptieren was Leitbilder uns als solche verkaufen. Wenn Marcel Prawy im Fernsehen behauptet, dass etwas schöne Musik ist, dann ist es für viele schöne Musik.
Bruckners Musik ist Kunst, weil sein Werk Teil unseres Bewußtseins ist.
Bruckners Musik ist aber mehr noch Kunst, weil sie von einem Schulsystem dessen pädagogisches Ziel noch immer die Heldenverehrung des 19 Jahrhundert ist, gefördert ist. Kunst wird zum Religionsersatz und zum Surrogat eigener nicht erreichbarer Wünsche. Dass dabei die Darstellung jeder historischen Figur immer Ideologien der jeweils aktuellen Zeit unterworfen ist, dass also 1995 die Figur des oö Komponisten Anton Bruckner ein Jahr vor einer wahrscheinlich unkritischen Götzenverehrung anlässlich seines 100 Todestages, der Vorstellung des großen Oberösterreichers entsprechen muß, sei nur am Rande vermerkt. Peinlich genau wird, ganz im Stile österreichischer Verlogenheit in Sachen der Bearbeitung der eigenen historischen Vergangenheit, vermieden auch darauf hinzuweisen, dass das nationalsozialistische Regime Bruckner in die Heldenhalle aufnahm. Dafür, könnte man argumentieren, kann der Mensch Bruckner nichts, er konnte sich schließlich nicht mehr wehren. Und doch ist auch die Interpretation zulässig, dass er ein durchaus politisch denkender Mensch war, sieht man nur z.B seine Widmungen seiner Symphonien. Vor allem aber ist es ein Hinweis auf die Ideolisierung der Kunst.
Ähnliche Begriffsverfälschung ist der Musikgeschichtsschreibung auch in anderen Fällen vorzuwerfen, wenn sie immer noch von der Wiener Klassik spricht und damit die drei Komponisten Haydn, Mozart und Beethoven meint. Sie verschleiert damit, dass diese Epoche aus mehr kreativen Köpfen bestanden hat und unterstützt im Grunde eine Art von Geschichtsfälschung. Oder anders ausgedrückt: die Bildung von Mozartkugeln.
Aus diesem Grund ist die Musik der Beatles noch immer keine Kunst. Zu sehr hat sie den Geruch der Subkultur an sich und zu sehr ist die Definition des Begriffes „Pop“ ein unbearbeitetes, fast unanständiges anrüchiges Gebiet in der Selbstdefinition dessen was Kunst im bürgerlichen Sinn ist.
Aus diesem Grund ist die Oper Aran von Gilbert Becaud – im Dezember 94 in Wien aufgeführt – vielleicht doch Kunst. Einfach, weil sein Name dahinter steht. Dass es vielleicht der dilettantische Versuch eines großen Chansonniers ist, sich in eine andere Komponistenklasse zu schmuggeln, wird nur zaghaft in der Kritik deutlich. Und weil es Becaud ist, gefällt es auch jenen, die normalerweise nicht in die Oper gehen, die aber bei Becaud dabei sein wollen.
Der Jubel des Publikums gilt als Beweis für Kunst. Eine gebräuchliche, aber sehr gefährliche Definition, weil sie den Dialog, die Auseinandersetzung verweigert und manipulierbar ist.
Warenwert
Von Andy Warhol stammt die Aussage, dass der wahre Wert der Kunst ihr Warenwert sei. In diesem Sinne machte er seine Bilder, in diesem Sinne reagiert eine Kunstwelt vor allem dann gerne wenn sie Gewinn machen kann. Um Meisterwerke, die in Museen gelagert sind, zu erhalten und den Betrieb eines Museums wenigstens geringfügig kommerzieller zu machen, wird Kunst im großem Stile kopiert und als „Museums Kollektion“ oder schlicht im Geschäft als Poster, wenn es ein Bild ist, verkauft. Es ist eine Frage des Standpunktes, ob man dieses Vorgehen als eine Demokratisierung von Kunst oder nur als Versilbern von Werten bezeichnet. Wesentlich ist, dass auch eine Definition von Kunst noch immer im Begriff Original liegt. Der Poster eines Gemäldes, der Abdruck einer Skulptur von Salvador Dali oder eines anderen Bildhauers ist Plagiat und hat nicht mehr den Appeal des Originals und ist daher kein Kunstwerk mehr.
Warum eigentlich nicht? Ist die Kopie sorgfältig gemacht, ist sie ästhetisch und formal von derselben Aussagekraft wie das Original. Was sie in den Augen vieler aber zweitrangig erscheinen lässt ist wahrscheinlich das Bewusstsein des Billigeren, des Erreichbaren, des leicht Wiederreproduzierbaren.
Hier liegen die Wurzeln für die Probleme Bereiche wie die Fotographie als Kunst anzuerkennen. Die Tätigkeit ist alltäglich, die Gestaltungsmöglichkeiten scheinbar beschränkt und das Foto unumschränkt machbar. Erst der Trick das Negativ zu vernichten hilft bei nötiger Werbung und richtiger Positionierung vielleicht zur gesellschaftlichen Anerkennung als Kunst. Der Mangel an der Fähigkeit der inhaltlichen Analyse eines Werkes macht es für diese Mechanismen anfällig. So betrachtet ist Werbung ein ganz wesentlicher Faktor für die Kunstwelt.
Berichte von Auktionen bei denen ein Japaner unfassbare Summen, sei es als Wertanlage, sei es als Hinweis auf seinen Reichtum, für ein bekanntes Bild bezahlt, sind gleichsam sorgfältig über die Medien verbreitete Werbemaßnahmen – für das Original, für, das Unerreichbare, für das Einzigartige eines Kunstwerkes. Meldungen dieser Art sind gleichzusetzen mit der Strategie bei Filmen sie allein durch die Vorwerbung und ein weltweites Merchandising in den Rang von Kunst zu erheben. Bis der Betrachter durch eigenen Augenschein sich eine vielleicht andere Meinung bildet, ist er schon hoffnungslos in der Minderheit. Ganz abgesehen davon, dass der kommerzielle Erfolg eines Filmes damit auch in der Vorwerbung schon sichergestellt ist.
Beispiele sind jeder Kinovorschau zu entnehmen. Österreich ist dabei traditionsgemäß etwas anders, weil der Film bei uns nur versteckt und von Insiderkreisen als mögliche Kunstform gehandelt wird.
Technologie
Das Festival Ars electronica, dem Spannungsfeld zwischen Kunst und Technologie gewidmet, wie es einer der Initiatoren Dr. Hannes Leopoldeder nannte, ist seit seiner Gründung einer der Kristallisationspunkte einer neuen Definition von Kunst. Die Ratlosigkeit im Umgang mit dem Computer als neuem, mittlerweile schon völlig allgegenwärtigem Instrument, wird bei vielen Künstlern spür- und lesbar. Günther Steinke, ein deutscher Komponist, und er sei hier ausschließlich als ein Beispiel für viele andere genannt, beschreibt seine Position als Komponist so:
“ Schwerpunkte meines Studiums waren die Auseinandersetzung mit der Neuen Wiener Schule, dem Serialismus und seinen Folgen, dem Konstruktivimus in der Musik allgemein und der Musik des 15. und 16. Jahrhunderts. Hinzu kam die Arbeit am Computer, der den Komponisten zwingt, sich über mikroskopisch- zelluläre Prozesse genaue Rechenschaft abzulegen und rationale Klarheit im Umgang mit den Apparaten zu besitzen. Die Folge für mein eigenes Arbeiten war ein postserielles zellulär-gestalthaftes Denken, das eine Komposition als Organismus der Eigengesetzlichkeit und Darstellung mannigfaltiger Bezüge begreift. “
Eine solche Selbstdarstellung lässt natürlich Polemik zu. Sie ist unangebracht. Mehr ist ein solcher Text ein Hinweis auf die Ratlosigkeit der Künstler, sich ihre Position in einer Kunstwelt zu suchen, in der man am Ende des Jahrhunderts das vorhergegangene verstanden zu haben glaubt, das eigene mehrheitlich negiert hat und in ein neues Jahrhundert aufbricht. Die Geschwindigkeit der Definitionswechsel ist atemberaubend, die Flucht zurück in bekanntere Begriffswelten nahezu verständlich.
Der Künstler kann nicht mehr ein der Welt Entrückter, für sie aber Schöpfender sein. Dieses Bild hat ausgedient. Kunst ist ein Medium und der Künstler ein Medienarbeiter. Nicht der denkbar beste Schauspieler wird für eine Rolle ausgesucht, sondern der beste Typ. Nicht der beste Kapellmeister macht Karriere, sondern der am Besten Vermarktbare. Da das Medium Kunst sich aber zeitgemäß über die Medien verbreitet, muss es Aufgabe von Künstlern sein zu versuchen mit dem Medium zu arbeiten. Francois Bayle, einer der großen französischen Computermusiker, meinte, dass es jetzt, nach einer Zeit der Lernens von Technologie, Zeit wird sich wieder mit Ästhetik zu befassen und eine neue Kunstsprache zu schaffen. In dieser Zeit der Neuorientierung von Kunst ist manche Begriffsverwirrung nachsehbar, weil sie ein Zeichen von Suche ist. Die Neugierde aber ist eine Definition von Kunst.
Blickpunkte 1995
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