Musikerziehung – Medienerziehung

27. April 2010

Referat gehalten beim 1. Österreichischen Musikschulkongress anlässlich der 1. Internationalen Musik Fach Messe vom 29.9. – 1.10. in Ried von Wolfgang Winkler
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen sie mich zum Thema kommen: manche Leute, die mit Kultur befasst sind, reagieren so, als wollten sie die Kultur des 19.Jhts, die sie am Ende des 20.Jht noch immer nicht verinnerlicht haben, als Zukunftsvision in das nächste Jahrtausend transportieren.
Oder, anders ausgedrückt: das Ideal des 19. Jh. des Instrumentalisten, des Komponisten, aber auch des Lehrers, des Vermittlers von Musik, wird in unseren Tagen diskutiert, als ob es das einzige wäre und vor allem als ob es nichts an Entwicklung in diesem Jahrhundert gegeben hätte, was ein Eingehen auf Neues hätte notwendig gemacht. Ist es Bequemlichkeit, ist die Angst vor dem Neuen, dem Anderen oder ist es eine spezifisch österreichische Eigenschaft: das haben wir immer so gemacht, da könnte ja ein jeder kommen und was geht das schließlich uns an.
Ich will es hier und jetzt nicht beurteilen müssen, jedenfalls aber steht fest, daß es an der Zeit ist, radikal umzudenken. Die Welt, die uns umgibt ist eine andere: wir leben in einer Medienkultur und merken es nur nicht. In Paris gibt es 49 Radiostationen, in Italien habe ich selbst zumindest 16 FS Stationen „durchgedrückt“, Kollegen mit Kabel -FS werden sich auch schon lange des Vorteiles erfreuen von bis zu 16 tendenziell schwachsinnigen Programmen berieselt zu werden. Schwachsinnig auch deshalb, weil es den Betreibern der einzelnen Sender gar nicht möglich ist, jetzt so viele neue Programme zu produzieren wie sie bräuchten, und sie daher zu den alten Serien, ich sage nur Raumschiff Enterprise als ein Beispiel, zurückgreifen müssen. Mediazahlen an sich sind zwar für den kultursensiblen Menschen kein Ersatz für Kultur, aber wir alle müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass Mediazahlen eine entscheidende Bedeutung im internationalen Medienmarkt haben und haben werden. Konzerne, die Produkte an den Mann bringen wollen investieren Milliarden in FS-Sendungen und HF-Produktionen auf Grund der Mediazahlen. Der italienische Medienzar Silvio Berlusconi gehört zu den 156 Mitgliedern des Milliardärsklubs dieser Welt und ist dabei an eherenvoller 36. Stelle mit einem Privatvermögen von schlichten 2,8 Milliarden Dollar. Dieses Vermögen hat er mit den Medien, in diesem Fall mit Radio und FS-Stationen gemacht.Medien sind also offensichtlich,oder in der medialen Sprache, mit Mediazahlen= Zuhörer. Und wie dabei die musikalische Kultur abschneidet überlasse ich ihrer Phantasie, ich darf ihr nur insoweit helfen, als ich Ihnen als ein Mensch, der beruflich täglich damit konfrontiert wird, versichere, dass an dem was wir gemeinhin Klassische Musikkultur nennen in Österreich nur schwache 2 -4% interssiert sind, nimmt man die Hörerzahlen von Ö 1 als Grundlage dieser Betrachtung. Ca 150.000 sehen eine Opernübertragung, ca 3 Millionen den Musikantenstadl. Ich möchte hier nicht , oder noch nicht, auf dieses Phänomen des kulturellen Selbstbertuges eingehen, jetzt sollen die Zahlen an sich etwas anderes aussagen; Die Werbefirmen werden wohl marktgerecht in den Musikantenstadl investieren und nicht in die Opernübertragung. Wenn das aber weltweit so ist, entsteht die nicht angenehme Vision einer musikalischen Zukunft, die nach der Masse und ihrem Geschmack hin nivelliert ist ,und von Konzernen, in unserem Fall Plattenkonzernen nach rein marktwirtschaftlichen Gesetzen dirigiert wird. Den Salzburger Festspielen wird vorgworfen, dass sie dem Diktat der Plattenfirmen und dem Diktat der dortigen Wirtschaft erlegen sind. Vorwürfe dieser Art scheinen mir immer ein Ablenkungsmanöver zu sein. Man will davon ablenken, daß man vielleicht selbst gerne Salzburger Festspiele hätte: große Namen, ein gutes Geschäft und Musik, die man kennt oder zumindest zu kennen glaubt. Wahr vielmehr ist, die Salzburger Festspiele sind berechtigt und zwar mehr oder weniger genau so wie sie sind. Der Rest der österreichischen Musikkultur sollte sich nicht an ihnen orientieren sondern eigene Wege gehen. Umso mehr werden sie auch ihre Berechtigung halten. Kreativität, die so notwendig ist , entsteht nicht – und das möchte ich ganz klar ausdrücken – indem man die Vergangenheit als eine Quantite´ negligable hinstellt, sondern auf ihr aufbaut, aber auch sich über sie hinaus weiterentwickelt. Salzburg ist so besehen eine sehr wichtige musikalische Teilöffentlichkeit. Das Mäkeln an Salzburg übertönt nur allzu oft eigene Ideenlosigkeit. Salzburg kritisch begegnen ja, aber nicht anstatt.
Werden wir also in der Lage sein, diese mediale Umwelt zu überschauen? Sind wir in der Lage jungen angehenden Musikern zu vermitteln, dass ihr Beruf in jedem Fall etwas mit den Medien zu tun hat? Auch dann wenn sie nicht vom Rundfunk aufgenommen werden, auch dann wenn sie nicht im Fernsehen auftreten. Sind wir in der Lage die Jugend darauf vorzubreiten, dass es in Zukunft ein eminent wichtiger Beruf sein sollte, Lehrer zu sein und die Karriere nicht unbedingt in der Frustration eines Orchesterdienstes enden muss, weil die fälschlicherweise in der Ausbildung angedeutete Solokarriere doch nicht stattfindet. Eine Zahl: in Europa gibt es rund 450 Pianisten, die bei Agenturen gemeldet sind und von diesen zur Karriere vermittelt werden wollen. Das ist die Spitze eines Eisberges. Und das nur zur Solistenlaufbahn. Bei Maultrommel könnte ich mir noch Valenzen vorstellen, wiewohl auch hier der Markt bereits eng wird. Werden die zukünftigen Lehrer ihren Schülern wiederum jene so wichtige musikalische Kreativität vermitteln können, die alleine sie befähigt sich im Beruf des Musikers zufriedenstellend zu behaupten? Modelle, wie man von der herkömmlichen Art der Musikerzeihung- in Kurzform; ein Hauptinstrument mit all den Dreiklangszerlegungen, ein bisschen Nebenfach, damit man zur Not nachschauen kann, wegkommen kann, gibt es natürlich, sie werden diskutiert. Nur jeder Tag der versäumt wird ist eine verlorene Generation an jungen Musikern. Zurück zur medialen Umweltsituation. Es ist blauäugig zu behaupten, daß man dieser Medienflut durch einfaches Abdrehen entgehen kann. Ihre Kinder, ihre Schüler werden sie zwingen das Radio, das Fs aufzudrehen, weil sie einfach mitreden müssen . Sie müssen versuchen einen Führer durch die Medienlandschaft zu geben, Das heißt aber auch, daß sie sich selbst mit den Wirk-Mechanismen der Medien, seien sie nun die elektronischen oder die gedruckten,auseinandersetzen müssen. Der Wirkmechanismus der Medien ist einfach. Sie benützen mit Erfolg den Rezeptions-mechanismus, dass alles was geschreiben ist und alles was aus dem Radio kommt – ich meine hier die Musik und nicht das Wort – richtig sein muss.m Die Wahrheit ist einfach: die Aufnahme der Beethovensymphonien unter der Leitung von H.v. Karajan mit dem Berliner Philharmonischen Orchster ist eine Momentaufnahme der Musik Beethovens unter der besonderen Rücksichtnahme der Sicht Karajans. Nun,wenn Karajans Deutung öfter gehört wird, entsteht die Scheinwahrheit, dass diese Musik, die medial vermittelt ist, die Wahrheit sei. Nur diese Wahrheit steht in keiner Beethovenpartitur.
Kreativität hieße über die Interpretation nachdenken, die Aufnahme einmal anzuhören und dann Erkenntnisse daraus im eigenen musikalischen Bereich umzusetzten. Doch wer tut das schon im Angesicht der Werbung, die zusätzlich noch von der Plattenindustrie gemacht wird. Wer nimmt schon die Partitur zur Hand und hinterfragt, in unserem Fall eben Karajan, wer kann schon Partitur lesen. Ich wage die Behauptung, dass außerhalb dieses Saales nicht mehr sehr viele Menschen in Ried eine Partitur lesen können. Sie können also auch nicht hinterfragen und sind daher extrem der Medienwelt ausgeliefert. Das soll auch gleichzeitig auf die mangelnde musikalische Grundausbildung in unserem Land hinweisen und die Aufgabenstellung der außerschulischen unterstreichen. Eine andere Art der Medienwelt. Die Welt der Computer oder die Welt der elektronischen Instrumente. 1977 wurde in Amerika der PC erfunden. Damit wandelte sich in diesem letzten Viertel des Jahrhunderts unser Leben grundlegend. Ich gehe hier nicht auf alle Veränderungen im Büro, im Privatleben, im Handel, in der Wissenschaft, die der Computer möglich gemacht hat, ein. Und zwar ein Computer, den jeder von uns auch wirklich bedienen kann. Ich nehme an, dass ein Gutteil von ihnen den Computer bereits in der einen oder anderen Form benützt. Wie im Wirtschaftsleben ist auch in der Kunst der Computer heute ein Instrument geworden, das einfach nicht mehr wegzudenken ist. Nur wenig der Unterhaltungsproduktionen heute sind nicht mit dem Computer in Verbindung zu bringen. Teils werden die Kosten reduziert, weniger Musiker werden für eine Produktion gebraucht, viele Sounds können aus der Maschine abgerufen werden. Das sind nur die oberflächlichsdten Beispiele, sie mögen hier genügen.
Wenn heute in den Musikschulen, oder überhaupt in Schulen, darüber diskutiert wird ob die Anschaffung eines Computers notwendig ist, mutet mich diese Vorgangsweise einigermaßen erschütternd an. Selbstverständlich sollte er den Unterricht unterstützen und der Umgang mit ihm enttabuisiert werden. Das Staunen, die unverholene Abneigung mancher, die den Umtrieben des Prix AE, um das heimisches Beispiel zu nennen, entgegengebracht wird, zeigt die Gedankenlosigkeit aber auch die Angst vor dem Umgang mit Computern an. Thomas Kessler, einer der Juroren des Prix AE und in Basel Professor für den weiten Bereich der Elektronik in der Musik vermerkt richtig, dass es auf uns ankommt den an sich seelenlosen Instrumenten der Elektronik eine Seele zu geben. Sie mit herkömmlichen Instrumenten zu mischen sie zu verwenden um unser Bewusstsein zu erweitern. Es ist wesentlich, dass die Elektronik, die heute all überall angeboten wird, nicht zu einem musikalischen Konservenbewusstsein führt. Alle Musik kommt aus der Konserve und diese Konserven verhindern in zunehmenden Maße die Fähigkeit sich selbst innerhalb der Musik mit Musik auszudrücken. Die hohe, aber früher auch selbstverständliche Kunst der Improvisation ist nicht erst in diesem Jahrhundert verlorengegangen. Sie wiederzugewinnen kann der Computer einen Beitrag leisten, wenn wir in der Lage sind ihn auch zu benützen. Das Schlagwort von der Trias Mensch -Computer – Kreativität ist kein Werbespruch für Computerbewerbe sondern eine Tatsache, die wirksam ist, die Ihre Schüler und ihre Kinder bereist angeht. Das Beste Mittel gegen Whisky ist Whisky hörte ich einmal einen Liebhaber dieses Getränkes philosophieren, das beste Mittel gegen Computer ist einmal mehr der Computer. Oder mit Elias Canetti gesprochen: eine Masse kann nur von innen wirklich aufgelöst werden. Umgelegt auf den Computer heißt das nichts anderes, als daß man sich mit ihm beschäftigen sollte. Die Diskussion ob in Linz und damit in OÖ ein Computerstudio entstehen soll wird reichlich spät geführt. Und die Frage nach der Notwendigkeit mutet vollends anachronistisch an. Im Sinne der zukünftigen Musikerziehung ist ein solches Institut mit ganzer Kraft und mit allen im Lande verfügbaren Kräften – und Linz hat seit 10 Jahren eine Ars Electronica und auch einige Leute, die sich bei Computern auskennen – zu verwirklichen. Musikalisches Feedback kann nicht nur durch mechanisches Abspulen von Kassetten gewonnen werden, diesem sogenannten Walkmanfeedback, wie ich es nenne ist entgegenzuwirken. Das ist ihre Aufgabe für die Zukunft. Gegnern der Compuertmusik kann ich die Aussage Dieter Kaufmanns – er vertritt Österreich seit Jahren als Komponist von Computermusik – entgegenhalten:“ Herkömmliche Instrumente werden immer die Musik dominieren. Der Computer ist nur ein neues Instrument, das wir kennenlernen müssen. Er hilft uns, neue Denkmodelle aufzustellen.
Ich habe ihnen eine Mediengegenwart skizziert, in der wir leben, von der wir entscheidend beeinflusst werden. Wie sehr, dazu ein kleines Beispiel: bei vielen Diskussionen über das Programm des Rundfunks fällt ein Phänomen auf; je kulturbeflissener sich jemand gibt, desto heftiger beklagt er den Untergang des Anbendlandes wenn er von Karl Moik und dessen Musikantenstadl spricht. Auf die Frage nach dem Gefallen kommt grundsätzlich Empörung. Aber, und das nannte ich anfangs schon den musikalschen Selbstbetrug – jeder kennt die Sendungen Moiks, man ist unterrichtet, man nimmt Anteil. Nochmals, ich will nicht über den Wert der Sendung streiten, sondern sie auf das Phänomen hinweisen, dass Moik mit seiner Idee den breiten Geschmack einer großen Öffentlichkeit erraten hat. Für den Musikantensatdl liegen Anfragen aus 4o Sendeanstalten rund um die Welt vor – ein weltweites Bedürfnis? Eine Flucht in schlichte, von Mozart schon belächelte Harmonik, in eine heile Welt? Fragen sie sich selbst wie sie zu dieser Art von Volksmusik stehen. Ihre Musikschüler sind meist vom Streben befallen, ein Instrument zu lernen um letztlich bei einer Oberkrainerpartie oder sonst einer Gruppe zu Geld und Ansehen zu kommen. Nur sagen sie ihren Schülern, dass der Wille in dieser Art von Musik zu arbeiten, absolut korrekt ist. Allerdings unter einer Voraussetzung: dass man sich auch mit anderer Musik befasst und sie gelten läßt. Wenn aber wirklich etwas gegen dergleichen YSendungen getan werden soll, dann müssten alle, die zwar schimpfen, aber doch den FS Apparat einschalten, das nicht tun, denn das Einschalten ergibt gute Mediazahlen. Und um die modernen Instrumentarien der Elektronik kommt auch diese Musik nicht herum. Ein Sieg des jungen Trompeters beim Grand Prix der Volksmusik wäre ohne moderne Technik nicht möglich gewesen, wissen sie auch warum? Er wurde gecovert, d.h., seine Meldoie wurde unsichtbar aber doch hörbar von anderen Trompetern mitgeblasen. Das Wissen um solche Vorgänge könnte helfen solche Entgleisungnen im Sinne des reinen Geschäftes zu vermeiden. Um es klar zu formulieren – wir können diese Entwicklung nicht aufhalten, wir müssen versuchen uns sich ihr nicht total auszuliefern.
Die Kreativität bei jungen angehenden Musiker zu fördern ist nicht nur für ihn wichtig, sondern auch für alle anderen Berufe. In Amerika werden Spitzenpositionen bei Managern mit demjenigen besetzt, der auch eine kreative Ausbildung genossen hat, selbstverständlich bei gleicher Fachvoraussetzung.
Was also ist zu tun? Die Formel, dass der Umgang mit einem Instrument, gleich welcher Art, bereits das kreative Potential des Menschen anhebt ist richtig. Nur mit einer sensiblen Vorbereitung auf diese uns umgebende Welt der Bilder – das Postindustrielle Zeitalter kann man auch das Bildzeitlater nennen – kann man ein Vielfaches dieser Kreativität fördern, und ein Vielfaches wird notwendig sein. Auch ein Vielfaches an Flexibilität bei den Lehrplänen: über den Wert oder Unwert von Popularmusik ist nicht zu diskutieren, sie ist in der Ausbildung obligatorisch. Es ist auch nicht darüber zu diskutiern, ob es sinnvoll ist da und dort, bei lokalem Bedarf, den Unterricht der Maultrommel einzuführen, natürlich soll man diesen Unterricht dort einführen. Es ist aber sinnfrei diesen Unterricht zur allgemeinen Maxime zu erheben. Sinnvoll ist aber auch dort wo Maultrommel unterichtet wird, neue Medien und den Umgang mit ihnen zu unterrichten. Jazzunterricht, Arrangieren, gemeinsames Musizieren sind weitere Fächer über deren Sinnhaftigkeit ich eigentlich nicht diskutieren möchte. Die Musikwelt des ausgehenden 20. Jh. besteht aus einer Vielzahl von unterschiedlichster Musik.Jazz, New wave, Neue Musik, zeitgenössische Musik, Minimal music, U-Musik mit vielen Unterteilungen, Rock usw. Sogenannte E- Musik ist auch darunter. Ernstzunehmende Musik aus vergangenen Jahrhunderten und auch aus unserem Jht. Jede Gesellschaftgruppe hört ihre Musik, jede Musik ist eine musikalsische Teilöffentlichkeit mit dem Recht der Anerkennung. Der Hochmut der Klassikhörer ist nur z. Teil gerechtfertigt. Die Musik eines Bürgertums, die Musik einer Elite, und das war klassische Musik nahezu immer, hat einen enormen geistigen Gehalt, der sich allerdings nur dann offenbart, wenn man, sieh weiter vorher, sich mit ihr auseinandersetzt und sie nicht als ein Ausdruck gesellschaftlichen Wohlergehens betrachtet. Andy Warhol formulierte einmal, der wahre Wert der Kunst ist ihr Warenwert und so wird auch die Klassik heute behandelt. Nur, ich bezweifle, ob das den so wichtigen Blick nach vorne beinhaltet. Die Musikwissenschaft tut ebenfalls das ihre. Als aus dieser Zunft Kommender weiß ich natürlich sehr genau, wie fatal der ewige Blick zurück dieser Wissenschaft für sie selbst und das Verständnis ist. Musikwissenschaft versteht sich als eine historische Wissenschaft. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum mir bis heute noch niemand schlüssig erklären konnte warum die Musik der Beatles schlecht sein soll. Ich bezweifle dieses schwache Urteil der Musikwissenschaft selbst dann, wenn man die Maßstäbe eines Gradus ad Parnassum anlegt. Man wird unschwer erkennen, dass sich die Musik der Beatles dieser Schule schlicht entzieht und man eine eigene Regel für diese Musik schreiben müsste. Auch Bücher sind Medien.
Radio, Fernsehen, Video, CDV, zuviele Bücher, die vergangenes behandeln und zuwenige, die auf unsere Musik eingehen, umgeben uns, der weite Bereich der Personalcomputer, der spezifischeren Musikcomputer, die Welt der Bilder und die Welt der Konzerne umgeben uns also und beeinflussen uns nachhaltig. Meist wird es uns nicht bewusst. Wenn es bewusst wird, gilt es ein Filtersystem in uns zu installieren, das uns erlaubt, trotz aller mechanischen Perfektion, die uns berieselt noch unsere eigene Kreativität zu erhalten und ständig zu fördern. Der Beweis für die Existenz der Beeinflussung ist für mich gegeben, wenn ich immer wieder höre: ich möchte spielen wie …! Den Umkehrsatz, ich möchte mit Hilfe der Musik ich selbst werden, höre ich nie.Als ich in diesem Jahr in der Jury für Jugend musiziert saß und den oft sehr jungen Klavierschülern zuhörte, fragte ich mich allen Ernstes wann der Zeitpunkt kommen würde, wo man auch bei Wettbewerben Dopingkontrollen einführen müsse. Die mechanische Präzision mit der die meisten Teilnehmer ihre Stücke zur Hochstrecke brachten war ebenso verblüffend, wie die musikalische Ahnugslosigkeit.Der Schluss lag nahe, dass die Musikeislaufmutter oder der Ehrgeiz des Lehrers die treibenden Kräfte einer sportlichen Höchstleistung am Instrument waren.
Um diesen Auswüchsen und dieser Beeinflussung zu begegnen ist also der Umgang mit den Medien grundsätzlich für jeden von eminenter Wichtigkeit. Die sozial Schwachen der Zukunft sind jene, die es nicht gelernt haben mit den Medien umzugehen, an Informationen heranzukommen. Das Bewusstsein, dass die Aufnahme der 7. Symphonie Anton Bruckners, dirigiert von Leonhard Bernstein, nicht die einzig denkbare Sicht dieser Musik ist und sie auch nicht dazu wird, wenn man sie 40 Mal abspielt, hilft der Musik an sich. Die Konserve genießen, aber sich der Tatsache bewusst sein, ist wesentlich. Dazu gehört allerdings das Wissen um die Mechanismen der Medien. Sie erwarten von mir jetzt nicht einen fertigen Lehrplan und ein Konzept wie Medienerziehung im Detail in Musikerzeihung integriert werden kann. Zwei Dinge erscheinen mir allerdings ganz eindeutig gegeben: Medienkunde, als verbindliches Fach und Computertechnologie. Beide Fächer sollen weder den Nachwuchs für die Rundfunkanstalten heranbilden, noch die Computerumsätze fördern, sie sollen und können benutzt werden. Die Umwandlung vom passiven zum aktiven User der Medien ist angesagt. Für die Musikerziehung ergibt das einen neuen Typ von Lehrer und in der Folge einen neuen Typ von Schüler. Anders ausgedrückt: ich glaube, dass ihr Beruf, der Beruf des Lehrers in Zukunft der wesentlichere sein wird. Der Lehrerberuf kann kein Abfallprodukt der Solistenausbildung sein.
Vortrag 1989

Hinterlassen Sie eine Antwort