entartet
7. September 2014
zum Projekt Ulenspiegel im Brucknerfest 2014
Kunst per se muss immer entartet sein, zumindest für die Mehrheit. Kunst fällt aus der Norm des Durchschnitts, zwingt Grenzen zu überschreiten, ist nicht regulierbar, daher für Ideologien jeglicher Macht nicht tragbar.
Das hat noch nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun. Der Begriff „entartet“ wurde von ihm zwar geprägt, Verfolgung des anderen und schon deswegen „Entarteten“ gab es auch in anderen Geschichtsepochen, in vielen Sozietäten. Denken Sie an den „Index Romanus“ der katholischen Kirche, an die Inquisition, an die Verfolgung der Wissenschaften – etwa bei Galilei, um nur einige Beispiele zu nennen. Es kann nicht wahr sein, was nicht wahr sein darf – im Sinne einer vorgegebenen Denkschule.
Nur die brutale Konsequenz des Nationalsozialismus gegenüber nicht gleichgeschalteter Kunst war neu. Was den Meistern des „deutschen Schamhaares und den Adepten der Musik des Volkes“ nicht in ihre Ideologie passte, war entartet: bildende Kunst und Musik. Musik von Juden, Kommunisten und Zigeunern, aber auch Musik von Ariern (Hindemith, Strawinsky u.a.m.), die musikalisch weiter dachten als die Mächtigen eines „1000-jährigen Reiches“.
Ausklammerung bedeutet immer auch eine fundamentale Änderung des Bewusstseins gegenüber Kunst und Kultur und eine Änderung ihrer Rezeption. Im eurozentrischen Denken bedeutet das eine Unterbrechung der Entwicklung – Mozart, Beethoven, Bruckner, Mahler, Schönberg, Berg, die Umdeutung des Genres der Operette und des Kabaretts, die Ausklammerung des Jazz und nahezu jeglicher Art außereuropäischer Musik.
Die Bestrebungen, nach 1945 den Kunstbegriff wieder neu zu positionieren, standen einem eingeschüchterten deutschen Lebensraum, der zwar im wirtschaftlichen Aufbau sehr erfolgreich war, dessen Intellektualität aber gelähmt war, gegenüber. Die Musik suchte langsam und nahezu verstohlen nach dem, was vorher war oder gewesen sein könnte.
Die Aufführung der Oper „Ulenspiegel“ – wieder „belebt“ durch EntArteOpera in Kooperation mit dem Internationalen Brucknerfest, durch das Israel Chamber Orchestra, durch Martin Sieghart, Susanne Thomasberger und Roland Schwab – und die Ausstellung „Swing tanzen verboten“ neben den Konzerten mit Musik von Ernst Krenek und einer Lesung von Erika Pluhar tragen Entscheidendes zum neuen Verständnis eines Kunstbegriffes bei, der unter dem Begriff „entartet“ in der Geschichte abgelegt worden wäre.
Es ist ein aktuelles Thema – nicht nur die Aufarbeitung des Verschollenen, sondern die Wahrung des Bewußtseins, dass wir heute, mit einer anderen Wortwahl sehr leicht dasselbe meinen – das andere ist entartet.
Kitsch gegen Kunst, Volkstümliche Musik gegen Klassik, Rock gegen dei Gesellschaft, Qualität gegen Kommerzialität. Chritentum gegen Moslems. All diese Begriffe bedeuten kein entweder – oder, werden aber so gedacht.
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